Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
Brief von Mutter Tashina erhalten.«
»Hast du.«
»Ja. Ich soll dich grüßen.« »So.«
»Hier ist der Brief.«
Wakiya zog ihn aus der Brusttasche und streichelte ihn glatt. Es trat eine Schweigepause ein.
»Willst du ihn lesen, Inya-he-yukan?«
»Nein. Es ist dein Brief.«
»Hast du Tashinas Karte bekommen? Ich wollte sie über deiner Bettstatt annageln, aber Mary hat sie dir ins Gefängnis nachgeschickt.«
»Bekommen.«
»Soll ich Tashina schreiben?«
»Das kannst du halten, wie du willst.«
»Ich habe so viele Fragen, Inya-he-yukan, aber du gibst nur Schweigeantworten.«
»Warum hast du denn Angst um mich, Wakiya-knaskiya! Du hast geträumt, als ob eine Schlange dich und mich abwürgte.«
»Ja. Ich habe Angst. Weil ich einen Schlangenkopf aufsetzen mußte und weil die geheime Sonne nicht mehr in deinen Augen ist.«
»Ist sie fort?«
»Fort. Nur noch dunkel.«
»Wann hast du das gesehen?«
»Als sie dich in Fesseln brachten, und du hast nach dem Fenster geschaut, vor dem kein Gitter ist, und nach der Sonne, die durch das Glas schien.«
»Vor dir muß man sich hüten, Wakiya. Du siehst zuviel.« »Ist das nicht gut?«
»Vielleicht ist es doch gut. Gräme dich nicht. Frage nur.«
»Warum hast du Ed Adlergeheimnis damals in unserem Hause alles erzählt?«
»Weil man sich nicht mehr auf mich verlassen kann.«
»Das ist nicht wahr. Das lügst du.«
»Sicher?«
»Sicher.«
»Ich will dir die Wahrheit sagen, Wakiya-knaskiya. Denn du bist es gewesen, der mich aus den Mauern und Gittern und aus dem Befehlsbereich der Geister wieder herausgeholt hat.«
»Du hast mich aus der dritten Klasse herausgeholt, Inya-he-yukan, als ich dort sitzenbleiben sollte. Aber dich herausholen, das habe ich nicht allein getan. Bob und Alex haben mir geholfen. Mary hat geholfen. Nicht ich habe es getan.«
»Doch hast du es getan. Ball hat mir alles erzählt. Aber nun sollst du es auch sein, dem ich die Wahrheit sage.«
»Ich höre.«
»Es gab drei Menschen, die wußten, was in jener Nacht wirklich geschehen war, und die noch leben: ich, Tashina und der Priester Elk in New City. Elk schweigt. Tashina war unruhig und verwirrt, und sie kennt die Geister noch immer nicht ganz. Ich wußte nicht, was Ed Crazy Eagle aus ihr herausgelockt hatte; an dem Tage, nachdem sie bei ihm gewesen war, kam er. Vielleicht hatte er alles von ihr zu erfahren verstanden. Dann stand meine Sache schlecht, denn mein langes Schweigen sprach gegen mich. Ich wollte aber nicht abhängig sein von dem, was geredet und gesagt oder auch nicht geredet und nicht gesagt worden war, und nicht abhängig sein von, den geisterhaften Ängsten Tashinas. Darum habe ich gesprochen. Aber das Leben war mir leid.«
»Tashina lebt wie in einem bösen Fieber und kann noch immer nichts schaffen.«
»Steht das in dem Brief?«
»Ja.«
»Und nun hast du Angst?« »Ja.«
»Schreibe ihr.«
»Ich werde es tun. Was darf ich schreiben?«
»Alles, was du ihr von dir erzählen willst. Aber schreibe nicht etwa, daß Tashina jetzt wieder heimkommen könnte. Ich nehme sie nicht bei uns auf.«
»Du hast sie hart vertrieben, Inya-he-yukan.«
»Ja. Tashina hatte zu den Geistern gesprochen: Ich gehe dahin, wohin ihr mich ruft. Sie wollte mich verlassen, mitten im Kampf, um ihren eigenen Kampf zu führen. Das wollte sie. Dann fragte sie mich, aber ihre Frage war eine Lüge, stinkend wie die sanfte weiße Milch, die mich heute noch erbrechen macht. Denn wenn ich nicht ja sagen wollte, so hätte mein Nein doch nichts gegolten, vor ihr nicht und vor den Geistern nicht. Darum habe ich ihr die Tür gewiesen. Du bist mein Sohn, Wakiya, und merke dir: Was ein Mensch beschlossen hat, dazu muß er auch stehen und nicht zierliche Worte machen noch glitzernde Fragen stellen. Die Mutter meiner Kinder soll ein Mensch sein und kein Geist. Ich habe gesprochen. Wenn Tashina ihren eigenen Kampf zu Ende geführt hat, begegnen wir uns wieder. Wir waren wie ein Mensch, nun sind wir wieder zwei.«
»Tashina wird nicht aufgeben, gewiß nicht.«
»Hast du keine Angst mehr um sie?«
»Aber um dich, Inya-he-yukan.«
»Warum?«
»Weil du die geheime Sonne in deinen Augen verloren hast.«
»Ich habe sie schon gesucht. Aber ich habe sie noch nicht wiedergefunden. Manchmal leuchtet etwas, dann verlischt es wieder. Hilfst du mir suchen, Wakiya?«
»Ich helfe dir. Aber man darf nicht suchen. Man muß warten. Das hat mich mein Vater gelehrt, der gestorben ist.«
»So warten wir miteinander. Leihst
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