Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
daß sie jederzeit kommen könne, da die Internatszimmer in den Ferien leer stünden, das Essen für die Angestellten aber sowieso weiter ausgegeben würde. Sie wunderte sich über sich selbst, während sie das alles erfuhr. Sie war sich nicht mehr bewußt gewesen, daß sie sich noch vor wenigen Stunden wie ein Kind gefreut hatte, eben darauf, für ein Jahr auf die Kunstschule zurückzukehren. Es fiel ihr ein wie etwas lange Vergessenes, und sie sah ihre eigene Freude als einen fernen Regenbogen, den sie bestaunte, weil er zart, vielfältig und wunderbar war und weil sie wußte, daß er nur kurze Zeit schimmern konnte, um auf einmal nicht mehr dagewesen zu sein. Ed und Margot Adlergeheimnis lächelten so freundlich und so verschlossen wie Queenie und luden sie ein, zur Nacht zu bleiben, damit sie sich gleich am nächsten Morgen auf die Reise machen könnte. Das Köfferchen stand als unwiderlegbares materialisiertes Zeugnis für Queenies Reisewunsch im Raum. Queenie nahm mit der Familie zusammen das einfache Abendbrot. Nicht zum erstenmal, und sie erinnerte sich, wie sie einmal in einer außergewöhnlichen Stunde hier gesessen und ihres Mannes unverbrüchliches Schweigen mit klugen und leidenschaftlichen Worten verteidigt hatte.
Als sie sich selbst wie ein Bild in jener Stunde sah und der anderen Queenie auf diese Weise begegnete, erschrak sie über ihre eigene Veränderung und erblickte sich und alle ihre Worte der letzten Monde, Tage und Stunden als Blätter, die im Winde wirbelten, vermischt mit den Fetzen zerrissenen Papiers. Sie wußte aber noch nicht, woher ein neuer Mittelpunkt kommen sollte.
Queenie lag in einem weißen Bett mit weicher Matratze. Ed und Margot hatten es ihr überlassen und schliefen auf der Couch. David, der Bub, hatte gebetet, und nun träumte er noch mit offenen Augen in die Dämmerung hinein. Queenies Augen wurden heiß und trocken; sie dachte an ihre eigenen Kinder, und sie dachte auch an Wakiya-knaskiya, ihren Pflegesohn. Hinter dem allen stand wie ein großer Schatten Inya-he-yukan, an den sie nicht denken wollte.
Nach einer Nacht ohne Schlaf brach der Morgen für sie an. Es dämmerte schon vor Sonnenaufgang. Margot ging zum Wagen, um ihn fertigzumachen. Queenie rang mit dem Namen Joe Inya-he-yukan, als ob sie mit ihrem Manne selbst ringe. Der Name erstickte ihr den Atem, wenn sie ihn verschwieg, und würde aus allen Ecken höhnen, wenn sie ihn aussprach.
Sie wußte, daß ihrem Mann Prozeß und Gericht drohten, denn sie kannte das Lügengewebe des Harold Booth. Harold hatte es einmal vor ihr ausgebreitet wie ein Netz, in dem er Menschen fangen wollte; und als er nach ihr griff, hatte sie ihn erschossen.
Nun war die Lüge von neuem aufgewacht und kroch heran.
Queenie aber ging. Sie hatte sich entschlossen zu gehen, und Joe Inya-he-yukan hatte ihr den Rückweg abgeschnitten.
Der Weg führte nicht mehr zurück, er führte nur noch weiter, aber die Angst ging mit.
Margot Crazy Eagle brachte Queenie nach New City, der nächstgelegenen Station der großen Überlandbusse. Von dort fuhr sie mit den Gray Hunds und den Continental Trailways einen Tag, eine Nacht und noch einen Tag. Sie schlief auf dem verstellbaren Sitz in dem Omnibus, in dem sie nach langer Zeit zum erstenmal wieder in einer temperaturgeregelten Atmosphäre atmete.
Sie aß in den Selbstbedienungs-Restaurants der Busgesellschaft, air-conditioned, jeweils einen kleinen Imbiß. Es war alles anders als alle Tage, aber es war auch alles gleichgültig. Als sie nach dem Süden kam, stand in dem Bus angeschrieben: »Hier werden die Plätze nach der Reihe eingenommen ohne Rücksicht auf Nationalität, Glauben oder Rasse.«
Queenie gehörte zu der Rasse der Indianer. Sie war jung, schön und allein. Ein Mann neben ihr fragte:
»In welchem Hotel werden Sie übernachten?«
»Ich fahre durch.«
Er war enttäuscht.
Die Hitze des südlichen Landes bekam Queenie kaum zu spüren. Die letzte Bus-Haltestelle lag nicht weit von der Schule entfernt.
Queenie ging auf das Gelände der großen, hellen, gartenumsäumten Gebäude zu. Der Brunnen plätscherte; von Schale zu Schale spielte und fiel das Wasser. Die großen Scheiben der Fenster und Türen fingen die Abendsonnenstrahlen.
Sechs Jahre hatte sie hier schon gelernt und gearbeitet als eine von vielen, mitten in der Schar der dreihundert von Klasse zu Klasse. Jetzt kehrte sie als eine einzelne zurück.
Sie meldete sich an und ging mit der Beschließerin durch die Glastür die breite
Weitere Kostenlose Bücher