Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
brach das Selbstbewußtsein, das sich unter Clarks Angriffen hochgespielt hatte, unversehens zusammen, und sie kehrte zu dem schüchternen Flüstern zurück, mit dem sie diese Unterredung begonnen hatte.
»Mister Clark, stellen Sie mir bitte eine Aufgabe.«
»Soll ich Ihnen ein Modell beschaffen?«
»Ich bin Ihre Schülerin.«
»Sie sollen ein Modell haben, in dem ein Rest Chaos steckt. Mal sehen, ob Sie es finden. Das Chaos, meine ich.«
James Clark rief seinen Hausgeist.
»Den alten Red Sleeves!«
Queenie setzte sich auf einen Hocker und wartete.
Sie wartete zwei Stunden, regungslos und gedankenlos, während James Clark weiterarbeitete und nur hin und wieder einen verstohlen prüfenden Blick über die junge Indianerin gleiten ließ. Als der alte Red Sleeves endlich auf dem kleinen Podium hockte, unter sich die gestreifte Wolldecke der Navajos, um die Stirnfurchen und das graue Haar ein schmutziges rotes Tuch, die Schultern mit einem zerrissenen Hemd behängt, wußte Queenie, daß sie einen Indianer malte. Er hatte sie nicht angesehen. Er sah überhaupt nichts von allem, was um ihn war, er schaute... und Queenie sah ein, daß sie ihn nicht fangen konnte, nicht diese Augen mit dem Blick ins Nicht-Wirkliche, nicht diese vertrockneten Hände, nicht einmal die Knochenschultern und die ausgelaugten nackten Füße. Nicht einmal das. Der Mund war eingefallen, und nie konnte sie erfahren, was er einst gesprochen hatte und was er nun sprechen würde, wenn er sich noch einmal öffnete. Aber er öffnete sich auch nicht mehr.
Queenie stand Stunde um Stunde vor ihrem Modell und nahm weder Stift noch Kreide, noch Kohle, noch Pinsel zur Hand.
Vorsichtig tastete sie sich in das Reich der Träume. Da saß Red Sleeves, der einen Namen aus blutgefärbten Zeiten trug, und vielleicht war es der Vater seines Vaters gewesen, der Santa Rita zu einer toten Stadt gemacht hatte. Da saß er und sah nicht nach ihr, denn er sah nichts als die Zerstörung und das Blut, die Köpfe der Kinder ohne Haar und Haut mit zuckendem Fleisch, die Köpfe der Frauen ohne Haar und Haut mit offenen Adern, die Köpfe der Krieger ohne Skalpe, Hunderte von blutigen Häuten und Tausende von Münzen aus Gold in den Händen der Feinde, die diese Häute verkauften. Dann hatte Red Sleeves gerächt und aus Santa Rita eine tote Stadt gemacht. Aber der jetzt den Namen trug, hockte mit nackten Füßen und einem zerrissenen Hemd vor der Kunstschülerin Queenie King, die lernen wollte, Porträtstudien nach Modell zu arbeiten und dabei das Chaos im Menschen zu entdecken.
Ja, die Gedanken ihres Lehrers bestachen sie, und die Versuchung wühlte in ihr. Nichts als das Chaos des flüssigen Bluts und des Hasses, nichts als das Chaos, das Nicht-Menschliche - nicht das Werden, sondern das Sterben und Verderben. - Aber sie rührte weder Stift noch Kreide, noch Pinsel an, denn es ging über ihre Kraft, und sie war jung.
Und sie wollte schweigen, wie der Alte schwieg. Sie wollte nicht verlernen, das Lachen eines Kindes zu hören.
Am Abend verließ sie das Atelier, ohne einen Strich getan zu haben. Der Alte erhielt seine Dollars und huschte weg.
Queenie schlief zum zweitenmal in ihrem Zweibettzimmer, dessen eines Bett leer stand, und wartete, bis zum Herbst Schüler und Schülerinnen alle wieder einziehen würden.
Sie war abgespannt, erregt und unsicher. Hatte sie recht getan, auf den Porträtstudien zu bestehen, während sie auf anderen Gebieten von ihrem Lehrer mehr hätte lernen können? Clark hatte ihr gegenüber großzügig gehandelt.
Am folgenden Morgen hockte der alte Red Sleeves wieder auf dem Podium, über das eine Navajo-Decke gebreitet war.
»Warum haben Sie gestern nichts getan, Queenie?«
Queenie schüttelte etwas ab wie Staub.
»Weil ich das Chaos gesehen habe.«
»Und heute?«
»Werde ich darüber hinwegsehen wie wir alle und die ersten Skizzen entwerfen.«
Sie fing an zu arbeiten, obgleich sie wußte, daß es Durchschnittsware wurde, was sie entwarf.
»Nicht so übel, Missis King.«
Queenie zerriß die Skizzen.
Clark beobachtete sie wieder von der Seite.
»Ein Indianer - ein Rätsel. Zwei Indianer - das Chaos. So etwa?«
»Das Chaos nicht ohne die Geister.«
Clark wußte nicht mehr, wovon Queenie sprach.
Aber er hatte entdeckt, daß ein Schimmer ihrer Augen dem Mond glich, wenn er zwischen Wolken perlmuttfarben leuchtete. Das sagte er ihr. Queenie verzog die Lippen mit der Ironie einer Frau, die als Mädchen schon viele Schmeicheleien gehört
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