Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
hinabgesprungen war. Der mehr als Hundertjährige war noch beweglich gewesen. Joe wußte nicht, ob er es je wieder werden konnte. Er schüttelte die eulengefiederten Gedanken ab, die ihm auf die Schulter flogen und ihm ins Ohr flüstern wollten: Krüppel Joe King.
    Vor Sonnenaufgang brachen die drei wieder auf. Eine weitere Rast am Ende dieses Tages war aber unvermeidlich. Joe schlief nochmals im Stehen, aber weniger lange als in der vergangenen Nacht, denn die Schmerzen waren noch heftiger geworden und kaum mehr zu ertragen. Joe fürchtete, die Besinnung zu verlieren.
    Es wurde ein drittes Mal Abend, als die Wanderer endlich ihren Wagen zu erreichen hofften. Schon im Herabkommen wurden sie jedoch auf Geräusche aufmerksam, die bis zu ihnen drangen und die vermuten ließen, daß der Wagen nicht allein war.
    Es krachte, schnaubte, brummte und knurrte. Joe lud sein Jagdgewehr durch. Soweit reichten die Kräfte eben noch. Die Geräusche gingen alle von einem Platz aus, und der Ursprung konnte nicht weit von der Stelle sein, an der der Wagen geparkt war.
    Bäume und Sträucher gestatteten keinen Durchblick. Joe ging mit seinen mühsamen Schritten auf die Lichtung hinaus und nahm das Jagdgewehr mit einem Ruck an die Wange. Es war der Elch, der den Wagen bekämpfte, etwa in der Art, in der ein Bauer einen eingedrungenen Schädling bekämpft. Das Cabriolet lag auf der Seite und war verbeult. Der Elch dachte den besiegten Gegner vollends zu Tode zu forkeln, und sein Vorhaben wurde von dem Brummen und Fauchen eines Bären begleitet, der nicht weit davon aufgerichtet stand und mit den Tatzen durch die Luft fuhr. Es war ein Grizzly. Die Tiere waren so mit sich selbst beschäftigt, daß sie Joe nicht bemerkt hatten, ehe er auf der Lichtung stand.
    Die Aussicht auf Jagdbeute war überwältigend und die Beschäftigung des Elches mit dem Cabriolet so verblüffend, daß Hanska und Wakiya trotz der schweren Erlebnisse der letzten Tage oder vielleicht eben als Lösung davon am liebsten gelacht hätten, doch verhinderte ein Blick Joes den Ausbruch ihrer natürlichen Reaktion. Er schoß, ehe eines der Tiere die menschlichen Feinde angreifen konnte. Der erste Schuß auf kurze Entfernung war ein Blattschuß und tötete den Elch, der sich überschlug und im Gras liegenblieb. Der Grizzly hatte die Gefahr sofort begriffen und hatte schon eine Wendung gemacht, ehe Joe, der nicht so schnell war wie sonst, ihn vor den Lauf bekam. Es schien dem Tier offenbar auch nicht angebracht, offenen Angriffsmut bei so ungleichen Waffen zu beweisen; es verschwand zwischen den Bäumen hangaufwärts. Joe und die Jungen lauschten. Es konnte sein, daß der Bär hinterrücks angriff.
    »Auf die Bäume, Wakiya und Hanska!«
    Die Buben gehorchten der geflüsterten Anweisung. Hanska nahm sich einen handlichen Stein mit, und als Wakiya das sah, holte er sich ebenfalls einen, ehe er sich auf den Nachbarbaum schwang. Im Winkel zwischen Stamm und Ast hockend, lauschten die Buben und spähten. Joe hatte bei dem Schuß erprobt, daß ihm die Arme besser gehorchten als die Beine. Er konnte auch jetzt nur kleine Schritte machen, immer mit wütenden Schmerzen, aber er traute sich einen Messerwurf zu. Einen Kolbenhieb allerdings nicht. Auf einen Baum kam er keinesfalls hinauf. Am besten war es, sich auf die Schußwaffe zu verlassen.
    Der Bär schien sich im Walde wieder sicher zu fühlen. Er mußte haltgemacht haben, denn es war nichts mehr zu hören. Joe blieb regungslos stehen, horchte und hielt Ausschau, ob der Bär noch einmal zwischen den Bäumen hervorkommen oder endgültig das Weite suchen würde.
    Neue Geräusche verrieten, daß das Tier kehrtgemacht hatte. Aber es kam nicht in gerader Richtung auf die Wiese zurück, sondern schlug einen Bogen. Joe hatte rings um sich freie Lichtung, im Rücken den Bach. Der Bär erreichte wieder das Gebüsch, vor dem ihn Joe zuerst hatte stehen sehen, schlich aber in voller Deckung. Joe gab zwei Schüsse in Richtung des Bären ab, um ihn zu treffen oder wenigstens zu verjagen. Ob er ihn getroffen hatte, blieb unsicher. Das Tier zu töten oder in die Flucht zu schlagen war jedenfalls nicht gelungen. Es knurrte feindselig und angriffslustig. Joe hielt das Jagdgewehr so, daß er sofort wieder anlegen konnte. Aber der Bär ließ sich Zeit. Tiere besitzen eine sehr feine Witterung dafür, ob ein Feind bei vollen Kräften ist oder nicht. Joe konnte sich nicht so verhalten, wie ein gesunder und bewegungsfähiger Mann sich verhalten hätte.

Weitere Kostenlose Bücher