Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
liegen; ein Flügel war halb aufgestellt. Joe machte den Versuch, noch einen einzigen Schritt vorzugehen. Er trat tastend, dann fester auf. Die Narbe hielt. Er wagte den zweiten Wurf. Die Lassoschlinge glitt unter den einen Flügel und faßte den Adler. Am Rand des Moores schrien die beiden Buben Sieg und Beute. Unter Joes Füßen aber wich nach der Bewegung des Wurfs und des Einziehens das Ende der Grasnarbe. Seine Füße verloren den Halt. Der Sumpf drang ihm sofort bis über die Knöchel. Bei dem ersten raschen Versuch sich zu befreien, sank Joe nur tiefer ein.
Niemals in seinem Leben war das Entsetzen so grimmig und kalt an ihm hinaufgekrochen. Bis über die Knie hielt ihn bereits die unüberwindliche Saugkraft von Schlamm und Schlick fest. Er riß am Lasso, um den Adler mit den weit ausgespannten Flügeln herbeizuziehen. Vom Rand des Moores kamen zwei gellende Schreie.
Die erneute Bewegung und Anstrengung trieb Joes Körper noch rascher in den Sumpf. Trotzdem ließ er nicht nach, sondern zerrte den Adler heran, und als er ihn greifen konnte, legte er Schultern und Arme über das Tier, das große, herrliche Tier, und er wartete, ob die ausgespannten Flügel ihn noch einige Zeit über dem Sumpf tragen konnten. Es war eine Hilfe, aber um seine Beine gurgelte und drängte das Moor mit einer Gewalt, der er nicht widerstehen konnte. Er konnte die Hüftgelenke schon nicht mehr rühren. Fest verschloß er die Lippen und rief nicht, denn er wollte nicht auch noch die Kinder ins Verderben locken. Erde und Wasser hielten ihre Beute fest, und der Sumpfgeist lachte und atmete mit Blasen, groß wie Krötenaugen.
Die Kinder schrien nicht mehr. Sie waren wohl vor Entsetzen stumm geworden.
Joe konnte keine Bewegung mehr machen, die seinen Untergang nicht beschleunigt hätte.
Auch der Adler begann einzusinken.
Alles um dreier Federn willen, und weil ein Jäger nicht hatte von seiner Beute lassen wollen.
Mit der schwerelosen Geschwindigkeit des Traumes zog in dem Augenblick, in dem der Tod in seiner morastigen Gestalt Zugriff, an Joe Inya-he-yukan King sein Leben vorbei, und er erkannte sich selbst deutlicher, als er es je getan hatte. Das erste Bild, an das er sich überhaupt erinnern konnte, war die einsame Blockhütte im Tal der weißen Felsen, Abenddunkel, die Kerze verlöschend, der betrunkene Großvater, der den zwei Jahre alten Joe schlug, wie ein Betrunkener schlagen kann. Die Mutter hatte zum Beil gegriffen, um ihr Kind zu retten. Alles war blutig gewesen. In den Slums hatte Joe mit Mutter und Schwester gelebt; eines Tages war der Vater aus dem Gefängnis entlassen worden, in dem er eine Strafe für eine Schlägerei in Trunkenheit verbüßt hatte. Joe hatte ihn nicht gekannt; für ihn war es ein fremder Mann gewesen, der plötzlich vor ihm gestanden hatte. Der Vater hatte den Buben mitgeschleppt, zurück in die Hütte, in das Tal der weißen Felsen. Der Vater war auf seine Art weich und liebevoll gewesen, und er hatte den kleinen Joe alles gelehrt, was er selbst konnte und kannte, Reiten und Schießen und die Mythen, Sagen, die Geschichte seines Volkes. Doch wenn der Brandy ihm Traum, Rausch und endlich bittere Ernüchterung verschaffte, schlug auch er den kleinen Buben. Joe begann sich gegen den Vater zu wehren. Er kratzte, biß und flüchtete wie eine junge Wildkatze.
Mit acht Jahren erst ließ der Vater ihn in die Schule gehen. Der Weg war weit. Als ein Dieb, ein Bandenführer und ein Rowdy war Joe mit sechzehn Jahren aus der Schule gejagt und ins Gefängnis gebracht worden, aber er hatte nicht gestohlen, und seine Bande war keine Bande gewesen, sondern die so natürliche wie gefährliche Freundschaft der wilden Burschen und Sitzenbleiber. Am Tage der Entlassung hatte Joe einsam auf der Straße gestanden; er war ein Feind aller geworden und hatte sich zu denen gefunden, die zu Raub, Schmuggel und Mord verbunden waren, zu denen, die ihn schon im Gefängnis gesucht und gefunden. Er wurde der Fahrer und Beschützer eines Gangsterbosses und war in dieser Funktion der Nachfolger des jungen Menschen, der eines Tages mit dem eigenen Stilett im Rücken tot am Steuer gesessen hatte. Joe hatte die Waffe übernommen und die Pflicht der Blutrache gegen die feindliche Gang. Er hatte gelernt, was Organisation heißt, Aktivität, Umsicht, Prozeß und Gesetz. Er lernte die Welt der Weißen von unten kennen, aber aus dieser Sicht gründlich. Die Gangsterbosse achteten ihn nicht hoch, denn er hatte kein Geld mitgebracht, aber
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