Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
Der Bär wartete. Er belagerte Joe.
Joe aber konnte einer langen Belagerung nicht standhalten. Er konnte sich nur langsam und unsicher rühren; er war erschöpft von der Anstrengung im Sumpf, von der pausenlos aufrechten Haltung bis zum dritten Tag und von dem Mangel an Nahrung. Er hatte kaum etwas essen mögen. Sein Körper war zu einem hautüberzogenen Skelett geworden. Er konnte nicht mehr stundenlang stehen und lauern. Das Jagdgewehr wog ihm schon schwer in der Hand, und es flimmerte ihm hin und wieder vor den Augen. Er fürchtete, keinen sicheren Schuß mehr abgeben zu können. Es mußte ein Ende nehmen mit diesem Bären, vor dem ihn Collins schon gewarnt hatte.
Der Grizzly kämpfte wie ein starker und schlauer Mann. In guter Deckung trieb er sich weiterhin zwischen Bäumen und Gebüsch herum. Joe hatte gehofft, daß der Bär hungrig genug sei, um sich an den Elch heranzumachen. Aber die Hoffnung trog. Der behinderte Jäger überlegte, was zu tun sei. Er sicherte wieder und wollte das Jagdgewehr unter den Baum werfen, auf dem Hanska saß. Der Wurf geriet etwas zu kurz; auch die Schultern Joes gehorchten den Bewegungsbefehlen nur noch unzureichend. Aber immerhin, das Gewehr lag nur zwei bis drei Schritte von dem Stamm entfernt, bei dem es liegen sollte. Joe zog beide Pistolen. Er schoß mit der rechten und mit der linken Hand gleich sicher; die Waffen waren leicht zu handhaben und hatten soviel Schuß, daß nicht jeder zu treffen brauchte; mit den Pistolen konnte Joe halb blind zielen. Das Kaliber war allerdings klein und zur Bärenjagd nicht geeignet.
Hanska hatte ohne Worte verstanden, was er tun sollte. Er sprang vom Baum herunter, griff das Jagdgewehr auf und kletterte damit wieder hinauf. Es ging alles schnell. Der Bub war noch nicht ganz neun Jahre alt. Er handelte schon wie ein Bursche.
»Stör den Grauen auf, Wakiya-knaskiya!«
Wakiya begann zu brummen und zu schreien. Der Bär wurde davon nicht abgeschreckt. Da die drei Menschen ihn so lange nicht ernsthaft angegriffen hatten, dachte er nicht daran, sich von bloßem Grölen aus der Ruhe bringen zu lassen.
Immerhin brummte er kurz, leise, heiser zum Zeichen, daß er das Geschrei als Kriegsruf verstanden hatte und den Kampf annehmen wollte. In dem Gebüsch, das er durchtrampelte, war das Knacken der Zweige zu hören.
Auch die Bewegungslosigkeit und Hilflosigkeit Joes schienen ihn mehr und mehr zu ermutigen und zu reizen. Dieser Mann auf der Wiese war für den Bären das Haupthindernis auf dem Weg zu der Elchbeute, deren Fleisch- und Blutgeruch ihn anziehen mußte.
Plötzlich brach der Graue aus dem Gebüsch hervor, um sich auf Joe zu stürzen. Joe verschoß die Ladung beider Pistolen, doch es war ihm schwindlig, und er wußte nicht, wie er traf. Der Bär war durch die erlittenen Verletzungen einen Augenblick verschreckt, dann überwältigte ihn die Wut. Er richtete sich auf und stand vor Joe, diesen überragend. Joe hatte keine Zeit zum Nachladen. Er ließ die beiden Pistolen fallen und riß das Stilett aus der Scheide am Gürtel. Ein Schuß krachte vom Baum her. Der Bär griff mit einer Tatze nach dem Kopf; er war hinter dem Ohr am Schädel verletzt und torkelte. Sein Rachen stand offen. Joe, dem graues Fell und große Tatzen vor den Augen schwammen, raffte seine Kräfte so zusammen, wie es auch der Bär tat. Er stieß mit dem Stilett zu und wollte das Herz des mächtigen Tieres treffen.
Der Bär stürzte, er stürzte vorwärts und riß Joe mit um, der nun unter der graubehaarten Masse lag. Der Grizzly zuckte, kratzte die Erde und röchelte. Er lag mit mehreren Zentnern Gewicht auf dem Mann.
Der Bärenkopf sank herunter. Der große Graue war tot.
Joe lag unter ihm mit betäubenden Schmerzen im Rücken, und ohne zu wissen, wie er sich noch bewegen sollte.
Die beiden Jungen kamen und arbeiteten daran, den Bären wegzuwälzen. Das war eine Arbeit, die ihre Kräfte fast überstieg, und sie brauchten lange dazu, bis sie mit Zerren und Hebeln Joe von der Last befreit hatten.
Joe kam nicht mehr auf.
»Kümmert euch um den Wagen.«
Das war alles, was er hervorbrachte.
Wakiya und Hanska gelang es, das Cabriolet wieder auf die Räder zu stellen; es war leichter damit umzugehen als mit einem toten grauen Bären. Wakiya hatte schon fahren gelernt, obgleich er noch nicht in dem Alter war, in dem er eine Fahrerlaubnis erhalten konnte. Er versuchte dies und das, und schließlich lief der Motor. Die Brüder beschlossen, daß Wakiya zu Vetter Collins, dem
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