Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen
ich bleibe bei dir, Vater Inya-he-yukan, und bei deinen Broncs. Ich habe nichts Böses getan. Warum soll ich in das Schulgefängnis gebracht werden?«
»Weil die ungerechten Geister es befehlen. Sie haben Hunderttausende von gut bewaffneten Männern.«
»Ich bleibe dennoch bei dir, Vater Inya-he-yukan.«
Joe schauderte es bei der Gewißheit, mit der das Kind sprach. Was sollte werden?
»Denke also nicht, Vater Inya-he-yukan, daß ich zu Krause gehe. Ich bleibe bei dir. Hast du mich nicht lieb?«
»Ich habe dich lieb, Hanska, so lieb, wie ich Wakiya-knaskiya und die Zwillinge habe. Ihr alle seid ein Stück von mir.«
»Also laß uns heimfahren. Ich wollte weit fort gehen mit dir, Vater Inya-he-yukan, aber das ist jetzt nicht gut für dich, und es ist auch nicht mehr nötig. Ich gehe mit dir heim und besuche die Schule von Frau Holland. Den Weg mache ich mit Wakiya-knaskiya zusammen. Dann ist keiner von uns einsam. Wir sind Brüder und gehören zusammen.«
Joe war es schwer ums Herz. Als die Nacht gekommen war, wälzte er sich in Träumen.
Am Morgen begann die Heimfahrt. In zwei Tagen wurde die weite Strecke über die Grenze bis zu der Reservation überwunden. Joe hatte zu einem Teil Straßen mit unbegrenzter Geschwindigkeit gewählt. Im Tal der weißen Felsen steuerte er das Cabriolet den Feldweg zur King-Ranch hinauf. Der Tag neigte sich schon. Über den Felsen brannte die Sonne rot wie verglühendes Holz.
Wakiya und Hanska gingen zu dem Grabe des alten Inya-he-yukan. Sie berichteten ihm, daß die Adlerfedern, die einst seine Beute gewesen und von Untschidas Händen wieder geglättet waren, weiter an dem Stab hängen und durch keine anderen Federn ersetzt werden sollten. Sie erzählten dem Toten auch, daß sich in seinem Zelte jetzt ein Elchgeweih befand und daß Inya-he-yukan der Jüngere künftig nicht nur eine geschenkte Kette aus Krallen und Zähnen eines Grizzly, sondern eine selbst erworbene tragen konnte. Er hatte einen großen Grauen mit Kugel und Messer getötet wie einst sein Ahnherr.
Niemand sprach von der Schule. Aber in wenigen Tagen gingen die Ferien zu Ende. Die Reise hatte länger gedauert als vorgesehen. Joe und Queenie wohnten wieder in dem Zelt des alten Inya-he-yukan. Des Abends saßen sie beim flackernden Feuer, und Queenie röstete die letzten Stücke Elch- und Bärenfleisch, die Joe mitgebracht hatte. Joe hatte zu diesem Abend auch Untschida ins Zelt eingeladen. Das Holz knackte in den Flämmchen, Harzduft verbreitete sich, gemischt mit dem Duft des röstenden Wildfleisches. Es schien alles Friede und Köstlichkeit zu sein, und doch wühlten Sorgen wie Ratten unter der Decke.
»Joe, ist der Friede unwahr?«
»So wahr wie die glatte Fläche des Sees, auf der die Sonne spiegelt. Sie ist da, du kannst es nicht leugnen, Tashina.«
»Sie verbirgt die tödliche Tiefe, und der Wind kann sie zerreißen.«
»Aber sie stirbt nicht, sie kommt wieder, und selbst in der Tiefe ist noch das Leben, das die Tiefe erträgt. Weißt du das, Tashina?«
»Wechselspiel. Das ganze Spiel ist wahr. Aber ich kann immer nur eine Schwingung malen.«
»Ich kann auch immer nur ein einzelnes erleben, Tashina. Aber nachdem ich vieles erlebt habe, ist das einzelne nicht mehr allein. Es ist eingewebt.«
»Du bist weise geworden, Joe.«
»Es wundert mich, was du da sagst.«
»Wir waren beide nur halbe Menschen, als wir uns fanden - « »Du auch?«
Queenie lächelte. »Du hast es längst gewußt, Joe, aber nun weiß ich es auch selbst. Ich war kaum die Hälfte eines Menschen. In der Schule, im Internat, air-conditioned - weder ein rechter Mensch noch ein rechter Geist meinem Leben nach und daheim nur sonntags - bei meiner Sonntagsfamilie, nicht bei der Alltagsarbeit... Ich habe nichts gewußt als Idylle, brav sein und gut lernen - das einzige, was mich an draußen erinnerte, war der Kaktus, den du mir einmal geschenkt hattest - ja, ich habe ihn noch!«
Die Blicke der beiden trafen sich. Sie liebten einander von neuem und immer wieder neu, und es schien jedem, daß die Augen des andern im Schein des Zeltfeuers heute ein zum erstenmal gesehenes Wunder seien. Auch Joe lächelte.
»Du hast den Stachligen noch! Für dich war die Erinnerung das Draußen, für mich ist sie das einzige Drinnen gewesen, das mir geblieben war. Die Mutter und du. In allem anderen war ich außer mir selbst, ein Fremder und den Menschen feind. Ein Halber bin auch ich gewesen - ich habe nicht einmal gearbeitet.«
»Joe, spotte nicht über
Weitere Kostenlose Bücher