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Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen

Titel: Das Blut des Adlers 2 - Licht über weissen Felsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Vaters gelauscht. Er wußte, daß er solche Worte nur einmal in seinem Leben vernehmen würde, wie auch der Vater sie von seinem Vater nur einmal vernommen hatte und eben darum niemals vergaß. Wakiya versuchte, die Häuptlinge und Krieger, die Frauen, die Mädchen und die Kinder, die Mustangs und die Hunde noch einmal zu schauen, aber es gelang ihm nicht mehr, und auch der Stab verschwand, als sei er nicht gewesen. Das Bild aber haftete in Wakiyas Gedächtnis ein Leben lang wie eine Spur in weicher Erde, die mit der Erde zusammen hart wird, und das Bild war ihm vertraut, denn seit er geboren war, hatten ihn Vater und Mutter auf der Höhe eines jeden Sommers zu den Feiern und Tänzen mitgenommen, zu denen die Alten und Jungen sich kleideten, wie ihre Altvorderen sich gekleidet hatten. Dort hatte Wakiya auch einmal Geister gesehen. Sie sahen den Menschen ähnlich, aber ihre Haut war hell, sie waren unruhig und ohne Scheu und sprachen mit lauter Stimme ihre Geisterworte, die Wakiya fremd waren wie jene ganze Geisterwelt, die er nicht kannte. Wakiya-knaskiya hatte sich gefürchtet und war nicht von der Hand der Mutter gegangen. Jetzt wußte er, daß die Geister Menschen töteten.
    Die Mazzawaken hatten geblitzt und gekracht; die Geister hatten das Geheimnis des Donnervogels gestohlen. Auch der Vater besaß ein Mazzawaken. Daheim in der kleinen dunklen Blockhütte hing es, von zwei Haken gehalten, an der Wand; die Kinder durften es nicht berühren. Hin und wieder ging der Vater damit weg; dann brachte er einen Fasan nach Hause, und es gab zu essen. Mazzawaken waren gut, aber nicht in der Hand der Geister.
    Der Vater berührte Wakiya-knaskiya leicht an der Schulter und machte sich mit dem Kind auf den Heimweg. Zweimal zuckte Wakiya und erschrak dabei, denn seine Glieder hatten sich bewegt, ohne daß er es wußte und wollte; seine dünnen Beine schlenkerten sich selbst, als ob sie nicht mehr zu ihm gehörten, und er stolperte. Der Vater schaute forschend auf den kleinen Buben und trug ihn ein Stück weit. An der Wasserlache im ausgetrockneten Bachbett machten die beiden wieder halt, und Wakiya aß die zweite Scheibe Brot auf. Aber sie schmeckte ihm nicht, und die Brocken würgten ihn im Halse.
    »Wenn du mir noch etwas sagen willst, Wakiya-knaskiya, so sage es mir.«
    »Vater, wann kommen die Toten und die Büffel wieder?«
    »Die Geheimnisse sind verborgen, Wakiya, und du kannst sie nicht öffnen, es sei denn, sie öffnen sich dir selbst. Ich bin kein Mann der Geheimnisse. Die Toten sind gekommen, und sie sind gegangen; sie haben nicht zu uns gesprochen. Sie werden aber wiederkehren, und das Brüllen der Büffel wird über die Wiesen schallen, nachdem der Alte gebetet hat. Über eine große Sonne hinweg, wenn das Gras wiederum gelb ist und die Erde sich wieder vor Durst aufreißt, dann komme an mein Grab, und dann nimm die Mutter an der Hand, und führe sie zu dem Alten, der stärker ist als ich. Er wird beten, der Mond wird am schwarzen Himmel hervorkommen, und die Toten und die Büffel kehren wieder.«
    »Du auch, Vater?«
    »Ja, auch ich, Wakiya-knaskiya.«
    Die beiden erhoben sich und liefen schnell, denn es wollte schon dämmern, und der Weg war noch weit. Als sie endlich heimkamen, wanderte der Mond schon am Himmel, und das kleine Blockhaus lag wie ein schwarzer Klotz in der Wiese vor Hang und Gesträuch im Nachtschatten. Die Hunde rührten sich. Wakiya-knaskiya schaute noch einmal nach dem runden Gestirn am Himmel, dessen Blässe leuchten konnte; es wurde von nun an sein Geheimnis und sein Bruder, dem er vertraute.
    Der Bub legte sich auf Bretter und Decken zu der Mutter und zu den beiden kleinen Geschwistern, und es überkam ihn eine neue Furcht, weil seine Glieder wieder zuckten, ohne daß er es wollte. Aber die Mutter schloß ihn in die Arme und drückte ihn an sich, so daß seine Angst verging.
    Wakiya-knaskiya schlief ein.
    Als Wakiya den fünften Winter durchlebt hatte, als der Schnee über dem Grab des Vaters geschmolzen, als die Blumen darauf erblüht und wieder verwelkt waren, als das Gras wiederum gelb und die Erde staubig und durstig war, nahm Wakiya-knaskiya seine Mutter an der Hand, um mit ihr zu dem Alten zu gehen, wie der Vater gesagt hatte.
    Die Mutter war klein von Gestalt, aufgebläht von Mehl und Fett, und seit der Vater gestorben war, zogen sich ihr die Falten mürrisch um die Mundwinkel; ihre Zähne verbissen sich in die Lippen, so daß nur selten mehr ein Wort daraus hervorkam. Aber in der

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