Das Blut Des Daemons
»Aber ich glaube, du schlägst auch ein Stück weit nach Radu. – Laufen dir die jungen Menschenburschen nach?«
»N-nein.« Zumindest nicht, dass es mir bewusst war. Und seit Julien bei mir war, interessierte es mich auch nicht mehr.
Wieder dieses spöttische Lächeln. »Ihr Glück.« Er wurde ernst. »Wenn diese Sache hier vorbei ist, werden wir beide uns in Ruhe unterhalten.« Mit erschreckender Sicherheit fand seine Hand mein Kinn. »Aber für den Moment solltest du lernen, zu gehorchen.« Seine Freundlichkeit war wieweggeblasen. »Dass Vlad diesen Fehler, was dich und deinen Leibwächter angeht, begangen hat, ist unverzeihlich genug. Ich werde nicht zulassen, dass du unsere Familie weiter ins Gerede oder am Ende sogar Schande über dich und damit unsere Blutlinie bringst.« Wie lauschend hob er den Kopf, holte langsam und tief Luft. Für einen Sekundenbruchteil schien seine Aufmerksamkeit nicht mir zu gelten – doch sie kehrte zu mir zurück. »Hast du das verstanden, Mädchen?«
Ich nickte beklommen.
»Gut. – Akretos ist da. Wir sollten unsere Plätze einnehmen, damit wir diese unselige Geschichte endlich hinter uns bringen.« Ohne ein weiteres Wort ließ er uns stehen und ging davon, so als wäre er überhaupt nicht blind. Ich schaute ihm hilflos nach.
Schweigend zog Radu den Stuhl zurück und sah mich auffordernd an. Ich sank auf das weiche tiefblaue Polster, froh, endlich sitzen zu dürfen. Mein Großvater rückte ihn mir noch zurecht, dann ließ er sich neben mir nieder. Vlad bedachte mich noch mit einem warnenden Blick, sagte etwas zu Radu, das ich nicht verstand, und begab sich ebenfalls zu seinem Platz – an dem gegenüberliegenden Tisch – auf gleicher Höhe mit Radu. Mircea saß weiter zu seiner Linken.
Verstohlen ließ ich den Blick durch den Raum wandern. Außer der Fürstin Lasja – deren Platz links von Vlad war – gab es nur noch eine weitere Frau im Rat, eine zierliche Asiatin, die sich gerade auf dem letzten Platz auf unserer Seite des Saales niederließ. Ich zuckte ein wenig zusammen, als die Glocke erneut erklang. Diesmal waren es zwei Schläge. Ein dunkelhäutiger Fürst in einem arabisch wirkenden Gewand verneigte sich vor mir, nickte Radu zu und setzte sich dann auf meine andere Seite. Mit einem zaghaften Lächeln neigte ich meinerseits den Kopf, dann sah ich mich weiter um. Vor Radu – wie vor jedem der anderen Fürsten – lag ein Dolch.Verglichen mit dem Mordwerkzeug, das ich bei Julien gesehen hatte, war er klein. Der Griff schien aus Silber zu sein. In den Knauf war ein glitzernder schwarzer Stein von der Größe einer Eichel eingelassen. So wie das Kerzenlicht sich in ihm brach, hätte man denken können, es sei ein Diamant. Die Klinge war blutrot. Als ich danach greifen wollte, hinderte Radu mich daran.
»Damit wird später über das Urteil abgestimmt. Zeigt die Klinge zum Angeklagten, bedeutet das schuldig . – Nur Dathan hat das Recht, ihn vorher zu benutzen, um für Ruhe zu sorgen.« Er neigte den Kopf in Richtung eines weiteren dunkelhäutigen Fürsten, der einen Arm locker auf die Lehne des Stuhls gelegt hatte, der sich in der Mitte des kurzen, quer stehenden Tisches befand. »Er führt den Vorsitz.«
Ich lehnte mich auf meinem Sitz ein klein wenig vor und musterte ihn vorsichtig in der Hoffnung, dass es niemand auffiel. Er wirkte entspannt, gar nicht so, als würde er gleich einen Prozess leiten. Es konnte nichts Gutes bedeuten, dass Gérards Platz anscheinend direkt neben ihm war.
Uns schräg gegenüber hatte sich eine Gestalt in Mönchsgewändern auf einem der letzten Plätze der Längsseite niedergelassen. Nur der Stuhl ganz am Ende war noch frei.
»Warum gibt es nur so wenige Frauen unter den Fürsten?«
Radu hob die Schultern. »Es ist nun einmal so. – Takako sagt man nach, sie habe ihren Gemahl ermorden lassen, um seinen Platz einzunehmen – etwas, das nie bewiesen werden konnte. Und auch Lasja hat man erst nach einem harten Kampf erlaubt, die Nachfolge ihres Gatten als Fürst und im Rat für sich zu beanspruchen, als Bengt vor vier Jahren an der Krankheit gestorben ist.«
Um ein Haar hätte ich meinen Großvater verblüfft angesehen. Die wunderschöne Lamia, die Adrien eine Liebeserklärung auf einem Foto gemacht hatte, war mit einemanderen verheiratet gewesen? Wie konnte das sein? Was war geschehen?
Um meinen Schrecken zu überspielen, ließ ich den Blick von einem zum anderen gleiten. Hinter meiner Stirn saß ein leises Pochen. Ich hatte es
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