Das Blut Des Daemons
standgehalten hätte. Dummerweise war ich noch immer irgendwie von den Drogen benommen, die Gérard mir in Marseille gegeben hatte. Mir fiel nichts anderes ein, als zuzugeben, dass ich das Blut aus seinem Versteck hatte holen wollen, um deinen Wechsel doch noch einzuleiten, ihnen dann aber zu erzählen, dass es nicht mehr an jenem Ort war, an dem ich es damals verborgen hatte. Als ich unverrichteter Dinge zu dir zurückkehrte, hatte dein Wechsel bereits eingesetzt. Und ich wurde dein erstes Opfer.«
Ich hob den Kopf von seiner Brust, um ihn anzusehen. Er hatte behauptet, als Kideimon versagt zu haben, hatte das Einzige aufgegeben, was sein Leben vielleicht hätte retten können, nur um mich zu schützen. O mein Gott. Julien atmete einmal tief durch. »Aber sie haben die Spielregeln geändert.«
»Was …«, setzte ich erschrocken an, wagte dann jedoch nicht weiterzufragen. Wie zuvor strich er mir mit den Fingerspitzen über die Stirn, hakte schließlich ein paar Haarsträhnen hinter mein Ohr. »Nachdem ich ihnen alles gesagt hatte, erklärten sie unseren Handel für gegenstandslos und jagten mir das Dreckszeug doch in die Adern.«
»Das heißt, sie wissen …«
»Nein.« Julien schüttelte den Kopf. »Ich habe ihnen vorgegaukelt, die Drogen würden schon wirken, als sie es noch nicht getan haben, und ihnen die ganze Geschichte noch einmal erzählt.« Mit einem kleinen, irgendwie selbstgefälligen Lächeln küsste er meine Nasenspitze. »Da sie bisher darauf verzichtet haben, dich ebenfalls zu der Sache zu befragen und auch noch keinen Scheiterhaufen für dich errichtet haben, war ich wohl überzeugend genug.«
Ich rang mir ebenfalls ein Lächeln ab und bettete meinenKopf wieder auf seine Brust, damit er mein Gesicht nicht sah. – Der Rat mochte ihm geglaubt haben. Aber Gérard nicht. Gérard war später noch einmal bei ihm gewesen, als die Drogen dann tatsächlich gewirkt hatten, und hatte ihm genau jene Antworten entlockt, bei denen er zuvor den Rat getäuscht hatte. Und Julien konnte sich nicht daran erinnern. – Von mir würde er es nicht erfahren.
Ich legte meine Hand über sein Herz und spürte seinem Pochen nach. Wenn die Sonne aufging, würde es aufhören zu schlagen. Ich biss die Zähne zusammen. Seine Berührung in meinem Nacken hatte etwas unendlich Tröstliches und ließ zugleich jenen würgenden Kloß in meiner Kehle nach und nach immer größer werden. »Warum hast du mir nie gesagt, dass du ein Lamia-Prinz bist?«
»Weil es nicht von Bedeutung war. Nicht mehr. Zumindest nicht für mich. Es ist ein leerer Titel geworden. Und letztlich … ich war ohnehin immer nur der Zweitgeborene. Für mich ging es nie darum, dass ich irgendwann einmal Papas Platz einnehmen sollte.«
Seine Worte zogen meine Kehle noch mehr zusammen. »Du hast ihn sehr geliebt.«
»Ja. – Und es würde ihn zerreißen, wenn er wüsste, was aus mir geworden ist.«
Ich schluckte. Falsches Stichwort. »Wie war deine Mutter?«
»Wunderschön. Freundlich. Sanft. Voll Feuer. – Und so stur wie du.« Seine Stimme klang zärtlich. »Die beiden waren unter den Lamia das Skandalpaar des Jahrhunderts. Er: der einzige Sohn und Erbe eines mächtigen Fürsten. Sie: eine Tsíngane, wie man bei uns jene nennt, die in keinem Territorium ein festes Zuhause haben, eine undenkbare Partie für ihn. – Ich weiß nur, dass er sie abgöttisch geliebt hat und sie ihn ebenso. Und dabei war es ihr egal, dass er der nächste Fürst von Marseille war.«
Seine Lippen streiften mein Haar. Ich schloss die Augen, lauschte seinem Herzschlag, während er sekundenlang schwieg – bis sich seine Brust unter einem tiefen Atemzug dehnte. »Adrien klammert sich noch daran, aber ich … Dass ich Marseille geliebt habe, hatte nichts damit zu tun, dass unser Vater sein Fürst war. Und dass ich Rache für den Mord an Maman und Papa wollte, hatte noch viel weniger damit zu tun.« Ich spürte sein Zögern. »Hätte ich es dir sagen sollen? Wäre es für dich wichtig gewesen?«, fragte er nach einem weiteren Moment.
»Nein.« Ich musste über die Antwort nicht nachdenken. »Es fühlt sich nur seltsam an, immer nur in Bruchstücken zu erfahren, wer du wirklich bist; wieder und wieder festzustellen, dass es so vieles gibt, was ich nicht über dich weiß.« Und was ich nun vermutlich auch nie mehr erfahren werde.
Er beugte sich ein klein wenig vor. Seine Finger strichen wie ein Hauch über meine Wange, während er mir in die Augen sah.
»Ich bin Julien Alexandre Du
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