Das Blut des Skorpions
nun Gott sei Dank aus der Welt geschafft. Wenn Ihr es erlaubt, kann ich Euch nun aus freien Stücken zu Diensten sein, ganz ohne Hintergedanken.«
»Warum tut Ihr das?«, fragte der Skorpion.
»Sagen wir, aus Hochachtung vor Euch. Einer lebenden Legende, wie Ihr es seid, bei der Arbeit zuzusehen, ist nicht nur ein Vergnügen, sondern auch eine einmalige Gelegenheit, etwas zu lernen. Ich verhehle Euch nicht, dass ich nebenher auch einen Vorteil aus Eurem Wirken ziehen werde, aber der ist weiß Gott nebensächlich und steht in keinerlei Widerspruch zu Euren Zielen.«
Der Auftragsmörder musterte den kleinen Mann mit den zerzausten Haaren immer noch und versuchte in seinem Gesicht zu lesen.
»Niemand macht etwas umsonst.«
»Gewöhnlich ist es so, da kann ich Euch nur recht geben. Und auch ich werde meinen Gewinn aus unserer Zusammenarbeit ziehen, keine Sorge. Es steht Euch natürlich frei, mein Angebot anzunehmen oder nicht. Ich denke allerdings, dass Ihr es Euch in der gegenwärtigen Lage nicht leisten könnt, auf die angebotene Hilfe zu verzichten. Es ist schweres Geschütz gegen Euch aufgefahren worden, und Ihr seid allein. Gewiss, Ihr seid der Skorpion, aber Eure Feinde sind zahlreich und gut vorbereitet. Was meint Ihr?«
Danach hatte es nicht mehr viel zu sagen gegeben. In seinem Metier waren die Fähigsten diejenigen, die schnelle Entscheidungen treffen konnten, und der Skorpion war der Beste von allen. Selbstverständlich durfte er Fieschi nicht trauen, aber er musste sein Angebot erst einmal annehmen. Sein Plan, sich davonzustehlen und allein weiterzuarbeiten, war der helle Wahnsinn, das sah er jetzt ein. Er würde sich die Unterstützung des Genuesers und seiner Männer zunutze machen und sich dabei gleichzeitig gegen jede mögliche Gefahr wappnen, die von ihnen ausgehen konnte.
Ein schwieriger Balanceakt, keine Frage, aber nicht unmöglich.
»Gehen wir an die Arbeit«, hatte der Skorpion gesagt.
Fieschi hatte sich wie üblich als Meister seines Fachs erwiesen: Innerhalb einer Stunde hatte er von glaubwürdiger Seite den Ort erfahren, an den Pater Eckart zu seinem eigenen Schutz gebracht worden war.
Im Morgengrauen hatte der Genueser dem Skorpion eine Verkleidung ausgehändigt, mit der er sich – unter der gebotenen Vorsicht natürlich – frei in der Stadt bewegen konnte.
Und so hatte der Meuchelmörder Fieschis Haus auf dem Rücken eines mageren Esels verlassen, im Habit eines Bettelmönchs. Ein dichter grauer Bart umrahmte sein Gesicht, das dadurch weniger ausgemergelt wirkte, und unter seiner Kutte steckte ein kleines Kissen, das einen Bauch andeuten sollte.
Den störrischen Vierbeiner antreibend, wobei seine Füße in den geflickten Sandalen auf dem Boden schleiften, war er durch die Straßen gezogen und hatte mithilfe einer genauen Wegbeschreibung das betreffende Haus ohne Schwierigkeiten gefunden.
Der Skorpion betrachtete die abgeblätterte Fassade des kleinen Palazzos und harrte darauf, dass der nächste Teil des Plans in die Tat umgesetzt würde.
Sobald das Mittagsläuten der Kirchen verklungen war, sah er von dem einen Ende der Straße her einen von Maultieren gezogenen Wagen herankommen, während sich vom anderen Ende ein Gemüsekarren näherte, dessen hoch aufgetürmte Ladung auf dem unebenen Pflaster bedenklich schwankte.
Das war der Moment, auf den er gewartet hatte: Die Männer des Genuesers traten in Aktion, um für eine Ablenkung der Wachsoldaten zu sorgen. Der Skorpion band den Esel an einem niedrigen Lattenzaun an und betrat einen ungepflasterten Weg, der sich am Hang des Hügels entlangschlängelte, wobei das Haus immer zu seiner Linken lag. Er ging langsam, betrachtete aufmerksam die Wegränder, als suche er nach essbaren Kräutern, und bückte sich hin und wieder, um ein paar Blätter zu pflücken, die er in den Jutesack um seine Schulter steckte. Der Weg führte ein Stück vom Haus entfernt an einem ungepflegten Obstgarten vorbei und verlief dann zwischen wild wuchernden Büschen, deren Zweige sich ineinander verschränkten und das Sonnenlicht fast ganz abhielten.
Der Auftragsmörder ging um eine hohe Brombeerhecke herum und begann im Schutz des dichten Gebüschs den Hügel hinaufzusteigen, bis er auf halber Höhe des steilen Hangs war. Von dort bog er nach links ab, näherte sich der östlichen Grenze des zum Palazzo gehörenden Grundstücks und erreichte kurz darauf die Hinterseite des Stallgebäudes.
Das gedrungene Gebäude war fast vollständig verfallen, die
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