Das Blut des Skorpions
den Fürsten- und Königshöfen Europas ihr Glück suchten. Er war vor ein paar Jahren nach Rom gekommen, nachdem ihm großer Ruhm vorausgeeilt war, für dessen Entstehung und Verbreitung er gewiss selbst gesorgt hatte. In kürzester Zeit war er zum Liebling der römischen Aristokratie aufgestiegen, die er mit seinen angeblichen Wundertaten bezauberte. Christine hatte ihn nach einer seiner Darbietungen zu sich rufen lassen und sich fortan nicht mehr von ihm getrennt.
Azzolini zeigte sich von Natur aus skeptisch gegenüber solchen schmarotzenden Marktschreiern, aber als vernünftiger Mann hatte er gar nicht erst versucht, den Einfluss zu bremsen, den der angebliche Hellseher auf die kapriziöse Monarchin ausübte. In einem geeigneten Moment hatte er sich den Großmeister vorgeknöpft und zu seiner Freude und nicht geringen Verwunderung festgestellt, dass er es mit einem klugen Mann zu tun hatte, der durchaus bereit war, der Sache der heiligen Mutter Kirche dienlich zu sein. Von da an hatte der Kardinal von der Sonderstellung des Wahrsagers profitiert, um die Meinung und die politischen Entscheidungen der Königin zu beeinflussen.
Leider war es bisher auch dem hartnäckigen Melchiorri nicht gelungen, Christine anlässlich der Einberufung der Generalstände zu einer Rückkehr nach Schweden zu bewegen, und das, obwohl er in letzter Zeit ein paar gut ausgetüftelte Possen inszeniert hatte.
»Majestät«, murmelte der Mann, als die ersten Töne aus dem Orchestergraben aufstiegen, »bedauerlicherweise werde ich mich im Laufe der Aufführung wieder entfernen müssen. Es geht um eine dringende Angelegenheit, die mit Eurem königlichen Wohlergehen zu tun hat.«
Er zog eine kostbare Uhr aus seiner Rocktasche und betrachtete versunken das mit Edelsteinen besetzte Zifferblatt.
»Die Stunde für das Ritual ist fast gekommen. Die Gestirne sind dabei, eine besondere Konstellation einzunehmen, die ich mir nicht entgehen lassen darf. Die Elementargeister manifestieren sich nur bei bestimmten, seltenen Konjunktionen, durch die sich die goldenen Pforten öffnen, die eine Verbindung von unserer Welt zu diesen körperlosen Wesen herstellen. Die Schlussfolgerungen, die ich aus meinen Beobachtungen gezogen habe, lassen wenig Raum für Zweifel, doch nur das mich führende Geistwesen kann sie endgültig bestätigen.«
»Fürchtet Ihr etwa, die Königin könnte sich in Lebensgefahr befinden?«, fragte Azzolini den Astrologen und bemühte sich, nicht ironisch zu klingen. Es fiel ihm stets schwer, bei diesen Komödien mitzuspielen, die er doch selbst erdachte, um Christine zur Vernunft zu bringen.
»Das Schicksal der gekrönten Häupter hängt immer an einem seidenen Faden, Eminenz, selbst wenn sie wie die Königin aus freien Stücken auf die Macht verzichtet haben, um dem Ruf des allmächtigen Gottes zu folgen. Dunkle Mächte schmieden Ränke hinter dem Rücken Ihrer Majestät. Die Sterne lügen nicht, wie Ihr wisst, und noch nie haben sie so deutlich das Wesen der Bedrohung angezeigt wie in den letzten Wochen. Die beiden Fühler des Skorpions sind in den Mars eingetreten, was nur eines bedeuten kann: Eine tödliche Bedrohung schwebt über uns allen und besonders über dem erhabenen Haupt Ihrer Majestät.«
Bei der Erwähnung des Skorpions verging dem Kardinal jäh die ironische Belustigung, mit der er den düsteren Prophezeiungen des Wahrsagers gelauscht hatte. Sogar sein gewohnter Skeptizismus wurde von dem, was er gerade vernommen hatte, erschüttert. Das konnte doch wohl kein Zufall sein, sagte ihm sein misstrauischer Verstand, am Ende wusste Melchiorri mehr, als er durchblicken ließ. Rom war ein Tummelplatz für Spione, Ränkeschmiede und Intriganten jeder Art, und man konnte nicht ausschließen, dass auch der Großmeister auf irgendeine Weise in die Sache verwickelt war, so unwahrscheinlich das sein mochte. Melchiorri hatte im Grunde zu viel zu verlieren und würde sich hüten, sich in ein Komplott gegen Christine hineinziehen zu lassen, doch er verkehrte in den verschiedensten Kreisen, und es konnte durchaus sein, dass ihm beiläufig etwas zu Ohren gekommen war. Sein Erfolg beruhte schließlich darauf, dass er stets Augen und Ohren offenhielt und sich auch die geringste Information zunutze machte.
Blieb herauszufinden, ob die Anspielung auf den Skorpion zufällig oder beabsichtigt war, um Azzolinis Reaktion zu testen. In jedem Fall bestätigte die Bemerkung den Kardinal darin, dass eilends und mit größter Entschlossenheit
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