Das Blut des Skorpions
noch sehr früh. Ich glaube, sie verließ gerade die französische Gesandtschaft, zumindest habe ich sie aus dieser Richtung kommen sehen. Sie ist direkt hier an meinen Tischen vorbeigegangen und hat mir zugelächelt. Das war ein Lächeln, meine Herren, so was von strahlend! Ich habe sie eingeladen, etwas Warmes bei mir zu trinken. Bei diesem eisigen Wind gibt es nichts Besseres als eine schöne Tasse heißen, gewürzten Weins, um einen wieder mit der Welt zu versöhnen, nicht wahr? Doch sie hat abgelehnt, auf eine sehr nette Art, und ist in dieser Richtung am Flussufer weitergegangen.«
Der Wirt zeigte auf die Straße, die Zane und Fulminacci auf dem Weg zur Gesandtschaft entlanggekommen waren.
»Jedenfalls«, fuhr der Wirt fort, »würde ich mir an Eurer Stelle auch Sorgen machen.« Er senkte die Stimme und trat mit verschwörerischem Gehabe näher heran. »Schon seit Sonnenaufgang sind die Häscher der Inquisition in dieser Gegend unterwegs. Aber nicht die üblichen Schergen, sondern Männer, die offenbar speziell für diesen Einsatz rekrutiert wurden. Übles Gesindel, wenn ich das sagen darf, äußerst übel. Sie durchstreifen das ganze Viertel, und Eure Freundin, so anmutig sie auch ist, sieht ein bisschen wie eine… eine Zigeunerin aus, wenn Ihr erlaubt. Und Ihr wisst so gut wie ich, was mit Zigeunern passiert, wenn sie in die Fänge der Inquisition geraten. Den ganzen Morgen über hat sich dieses Pack hier rumgetrieben, und ich mache kein Geschäft. Wer traut sich schon in die Osteria, wenn an jeder Ecke Gefahr lauert?«
»Habt recht vielen Dank, Herr Wirt. Ihr wart uns eine große Hilfe. Komm, Zane, wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Keine Ursache, meine Herren, keine Ursache, stets zu Euren Diensten. Freundlichkeit kostet schließlich nichts, sage ich immer, sie kostet einen überhaupt nichts. Das hat schon mein armer Papa zu mir gesagt. Nando, hat er gesagt…«
Die beiden Gefährten hörten seine letzten Worte nicht mehr, weil sie schon ein ganzes Stück weit weg waren.
Sie gingen auf der Uferstraße zurück und hofften, dass jemand ihnen unterwegs noch mehr erzählen konnte. Die wenigen Leute, die ihnen begegneten, waren jedoch kaum geneigt, sich mit zwei bewaffneten Fremden zu unterhalten, was deutlich von der angespannten Stimmung in der Stadt an diesem Tag zeugte. Sogar die Fährmänner mieden das diesseitige Ufer und dümpelten auf der anderen Seite herum, was ihren ohnehin schon mageren Geschäften bestimmt nicht zuträglich war, dafür aber umso mehr ihrer Unversehrtheit.
Fulminacci und Zane hatten circa eine halbe Meile zurückgelegt und gerade die Ruinen eines antiken Bauwerks überklettert, als der aufmerksame Blick des Malers an etwas hängen blieb, das ihm das Herz stocken ließ. Neben einer abgeschlagenen Säule sah er etwas Farbiges; er bückte sich und hob ein karminrotes Band auf, an dem ein langes, tizianrotes Haar hing.
»Heilige Muttergottes, Zane, es ist, wie ich befürchtet hatte. Sie haben sie verschleppt!«
KAPITEL XXXIV
Capitaine de la Fleur konnte nicht unbedingt als empfindsamer Mensch bezeichnet werden. Er war ein Berufssoldat, ein Mann der Tat, der auf dem Schlachtfeld zu Hause war und vorwiegend kühle, oberflächliche menschliche Beziehungen und die Grobheit der Soldaten kannte. Dennoch machte ihn der Anblick betroffen, der sich ihm bot, als er, flankiert von seinen Musketieren, den Schlupfwinkel des Skorpions betrat. Dieser bestand aus zwei kargen Zimmern, in die nur stundenweise ein wenig schräges Sonnenlicht durch drei kleine Fenster mit Blick auf eine enge Gasse voller Unrat fiel.
Nicht, dass er viel erwartet hätte, doch als er die Siebensachen des Attentäters durchwühlte, fand er rein gar nichts, das etwas über das Wesen des Mannes aussagte, den sie so hartnäckig verfolgten. Seine drei Reisesäcke enthielten neben einem Sortiment an Waffen nur sehr schlichte Kleider in einheitlichen Farben von Dunkelgrau bis Rußschwarz. Keinen einzigen persönlichen Gegenstand, keinen Brief oder sonst ein Besitztum, das man nicht auch in der Klausurzelle eines Mönches oder der Grotte eines Einsiedlers früherer Zeiten hätte finden können. Keinen Kamm, keinen Talisman, kein Buch, keinen Schmuckgegenstand.
Geschärfte Stichwaffen, zwei geladene Pistolen, Geld und Kleider in Grau und Schwarz. Sonst nichts.
Die Erkenntnis von der weniger materiellen als vielmehr seelischen Armut seines Gegners jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Wie war es möglich,
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