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Das Blut des Skorpions

Das Blut des Skorpions

Titel: Das Blut des Skorpions Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Marcotullio
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Hybris als Wissenschaftler begangen hatte. Erst jetzt verstand er – jetzt, da der Plan des Schöpfers in all seiner unsagbaren, erschreckenden Klarheit vor seinen Augen offenkundig wurde.
    Jetzt, da er sozusagen mit dem Zeigefinger diese wundersame Handschrift nachfahren konnte, wie ein Kind, das die Buchstaben in einer Abc-Fibel lernt. Jeder Schnörkel, jeder Sturzflug, jedes Kreuzen von gefiederten Flugbahnen schrieb mit aller Deutlichkeit das Urteil an den Himmel, das der Menschheit drohte.
    Der Tag war nahe.
    Beatrice konnte nicht einmal behaupten, schlecht behandelt worden zu sein. Von dem Moment an, als sie auf das Boot verfrachtet wurde, gingen die Häscher mit ihr um wie mit einem leblosen Gegenstand. Die Mienen der beiden Ruderer drückten eine Mischung aus Abscheu und Angst aus, und das war auch schon das Letzte, was sie sah, da man ihr sofort eine Kapuze aus grobem Stoff über den Kopf zog. An Händen und Füßen gefesselt wurde sie in den hinteren Teil des Bootes geworfen, das sogleich ablegte. Alles, was sie hörte, war das Ächzen der beiden Fährmänner und das Klatschen der Ruder beim Eintauchen in das strudelnde Flusswasser.
    Nach einer endlos scheinenden Weile vernahm sie den dumpfen Aufprall beim Anlegen des Bootes, worauf zwei Paar Arme sie achtlos packten, ans Ufer hoben und auf die Beine stellten. Mit einem Schubs bedeutete man ihr loszugehen, was ihr einige Schwierigkeiten bereitete. Aufgrund der langen Bewegungslosigkeit und weil sie nichts sehen konnte, schwankte sie hin und her wie eine Betrunkene, und nur durch eine Reihe von groben Stößen hielt sie die von den Häschern vorgegebene Richtung ein.
    So ging sie eine Zeit lang blind einher, bis das veränderte Geräusch ihrer Schuhe auf dem Untergrund ihr sagte, dass sie einen geschlossenen Raum betreten hatte. Ihre fest auf den Rücken gefesselten Handgelenke pulsierten schmerzhaft, und unter der dicken, rauen Kapuze konnte sie kaum atmen.
    Von den Stößen ihrer Wärter gelenkt bog Beatrice um mehrere Ecken, doch dann trat ihr rechter Fuß plötzlich ins Leere. Sie wäre gefallen wie ein Sack Kartoffeln, hätte einer der Männer aus ihrer stummen Eskorte sie nicht am Oberarm gepackt, und zwar so grob und ungeschickt, dass er ihr beinahe die Schulter ausrenkte. Der Mann hielt ihren Arm fest, bis sie eine steile Treppe hinuntergestiegen war, an deren Fuß sie das Quietschen einer an rostigen Angeln mühsam aufgezogenen Tür hörte.
    Anonyme grobe Hände banden sie los und nahmen ihr die Kapuze ab. Das spürte sie jedoch nur, denn als sie von dem schweren Stoff befreit war, sah sie sich immer noch von Dunkelheit umgeben. Ein letzter, brutaler Stoß beförderte Beatrice in die Zelle, worauf sich die schwere Tür mit metallischem Getöse hinter ihr schloss. Danach folgte das Klappern des vorgeschobenen Riegels, dann Stille.
    Sie konnte kaum die Wände um sich herum erkennen, aber was sie deutlich wahrnahm, waren die Kälte und die Feuchtigkeit, die diesen düsteren Ort durchdrangen.
    Tastend suchte sie ihre Umgebung ab, was nicht lange dauerte, da die Zelle nur wenige Schritte in Länge und Breite maß. Ihre Beine stießen an der einen Wand gegen eine Bank, auf der sie mit den Händen etwas fühlte, das eine Decke sein musste. Kaum waren ihre Finger mit dem schmutzigen Wollstoff in Berührung gekommen, zuckten sie vor Ekel zurück. Sie war fast dankbar dafür, nichts sehen zu können, denn wenn sie diesen einzigen Schutz gegen die Kälte näher in Augenschein genommen hätte, hätte sie wahrscheinlich darauf verzichtet, ihn zu benutzen.
    Bei der weiteren Erforschung des dunklen Lochs fand sie in einer Ecke zwei Krüge aus Terrakotta. Der kleinere enthielt Wasser, während der breitere und flachere leer war, sodass man sich denken konnte, wozu er diente. Sonst gab es nichts.
    Beatrice untersuchte die enge Zelle noch einmal, aber das Einzige, was sie außerdem entdeckte, war ein Loch in einem Winkel der Decke, das anscheinend der Lüftungsschacht war. Als sie hineinsah, erkannte sie einen schwachen Lichtschimmer dahinter. Sie stellte sich auf die Bank und konnte den Rand des kleinen Schachts berühren, der jedoch zu schmal war, als dass ein Mensch hindurch passte, selbst wenn er so schlank war wie sie. Mit verzweifelter Sorgfalt inspizierte sie anschließend die Tür, die mit Schienen aus rostigem Metall verstärkt war. Auch hier fand sich kein Ausweg, denn das Holz war massiv und ohne Schloss auf der Innenseite, das man eventuell hätte

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