Das Blut des Teufels
Rückwand des winzigen Raums.
Die Erinnerung an den Überfall auf den Gängen der Johns Hopkins kehrte allmählich zurück. Eine seiner Hände kroch über seine Brust und befingerte eine empfindliche Stelle am Brustbein. Der gefiederte Pfeil war verschwunden. Langsam richtete er sich auf und entdeckte, dass er auf einem Bettgestell lag, dessen abgenutzte Matratze nur eine schlechte Polsterung bot. Er trug immer noch dieselbe Kleidung – Jeans und ein graues Hemd. Nur sein Sportsakko von Ralph Lauren war verschwunden. Er warf eine dünne Decke beiseite und richtete sich vorsichtig auf.
Der Raum war spartanisch eingerichtet. Neben dem Bett standen die einzigen weiteren Möbelstücke – ein wurmstichiger Schreibtisch in der Ecke sowie ein Betschemel vor einem Holzkruzifix. Henry starrte zu dem Kreuz hinüber, dessen kirschrote Färbung sich deutlich vom weiß getünchten Putz abhob. Vor dem inneren Auge sah er das silberne Dominikanerkreuz, das vom Hals seines Angreifers herabgehangen hatte. Was ging hier vor, zum Teufel?
Er schwang die Beine vom Bett, was zur Folge hatte, dass es ihm den Bruchteil einer Sekunde lang in den Ohren klingelte und ihm schwarz vor Augen wurde. Er holte tief Luft. Zuvor jedoch war ihm ein starker, vertrauter Geruch aufgefallen, der von der zerrissenen Decke auf dem Bett aufstieg. Er hob sie an die Nase und schnüffelte. Lama. Von allen in südamerikanischen Ländern hergestellten Textilien hatte Lamawolle die schlechteste Qualität. Sie wurde lediglich von Bauern benutzt und selten exportiert.
Langsam dämmerte ihm die Erkenntnis. Südamerika? Er erhob sich eilig. Einen Moment lang stand er etwas wakkelig auf den schwachen Beinen, aber er gewann rasch seine
Stärke zurück. »Nein, das ist unmöglich.«
Er trat zur einzigen Tür, die niedrig, aber stabil war, und probierte den Riegel. Natürlich verschlossen. Er machte kehrt und starrte zu dem hoch in der Mauer liegenden Fenster hinauf. Vögel sangen auf einem Baum in der Nähe und eine warme Brise ließ die Staubkörnchen im hereinströmenden Sonnenlicht tanzen. Es war zu hell. Henry spürte, dass dies nicht derselbe Tag war, an dem er mit dem Betäubungspfeil niedergeschossen worden war. Wie lange war er bewusstlos gewesen? Die schwache Brise roch nach Öl zum Braten und aus der Ferne tönten schwach die Geräusche eines Markts herüber. Schrille Stimmen priesen auf Spanisch ihre Waren an.
Ihm sank der Mut, als er erkannte, was das alles zu bedeuten hatte. Er war entführt und außer Landes verschleppt worden. Ein weiteres Gesicht tauchte vor ihm auf: glatt herabfallendes, mitternachtsschwarzes Haar, strahlende Augen, volle Lippen. Er musste schlucken, als ihm einfiel, wie Joan den gefiederten Pfeil zwischen ihren Brüsten hervorgezogen hatte und auf dem Boden zusammengebrochen war. Wo steckte sie?
Besorgter um Joan als um sich selbst trat Henry zur Tür und hämmerte mit der Faust darauf ein, dass die Bretter im Rahmen bebten. Bevor er etwas hätte rufen können, öffnete sich ein kleines Guckloch oben. Dunkle Augen starrten ihn an.
»Ich möchte wissen, was …!«
Das Guckloch schlug zu. Wenige Schritte entfernt folgte ein unterdrückter Wortwechsel, allerdings zu leise, um etwas zu verstehen. Jemand schien eilig zu verschwinden. Erneut hämmerte Henry an die Tür. »Lasst mich hier raus!«
Eigentlich hatte er keine Reaktion erwartet; er hatte lediglich seiner Enttäuschung Luft machen wollen. Daher war er regelrecht entgeistert, als er Antwort bekam. Eine Stimme rief ihm von weiter unten im Flur zu: »Henry? Bist du das?«
Eine Woge der Erleichterung erfasste ihn und kühlte sein heißes Blut etwas ab. »Joan!«
»Geht’s dir gut?«, schrie sie zurück.
»Ja. Was ist mit dir?«
»Schlecht gelaunt, angewidert und stinkwütend.«
Allerdings hörte Henry aus ihren Worten auch jede Menge Angst heraus. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Sich dafür entschuldigen, dass er sie in diesen Schlamassel hineingezogen hatte? Falsche Versprechungen bezüglich ihrer Rettung machen? Er räusperte sich und rief zurück: »Tut mir Leid … war nicht viel mit dem zweiten Rendezvous, stimmt’s?«
Ein lange Pause … dann ein leises Kichern. »Hab’s schon schlimmer getroffen.«
Henry drückte beide Handflächen gegen die Tür. Er spürte ein heftiges Verlangen, Joan in die Arme zu schließen.
Plötzlich hörte er, wie sich draußen vor der Zelle jemand näherte. Joan musste es auch gehört haben, denn sie verstummte abrupt. Henry
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