Das Blut Von Brooklyn
wir genug Blut organisieren können, uns bedeckt halten und mit der ständigen verzweifelten Suche nach dem nächsten Blutbeutel leben können. Solange wir uns von der Sonne fernhalten.
Aber es ist immerhin ein Leben.
Ich will mich ja auch nicht beschweren. Klar, ich hab mich nicht darum gerissen, infiziert zu werden, doch andererseits hab ich auch keine Eile damit, Schluss zu machen. Ich bin jetzt seit über dreißig Jahren dabei, obwohl ich jederzeit die Notbremse ziehen könnte. Eine Kugel ist und bleibt eine Kugel, egal, wessen Schädel sie durchschlägt. Tot ist tot, heißt es. Aber das finde ich früher oder später sowieso raus. Genau wie jeder andere auch.
Wir marschieren alle aufs Grab zu.
Nur hab ich einen etwas anderen Weg eingeschlagen.
Falls mich das Ganze irgendwann ankotzt, kann ich auch jederzeit untertauchen.
Und Evie mitnehmen. Es ist ganz einfach. Ich muss nur tun, worum sie mich ständig anfleht. Ich muss sie einfach nur retten.
Ich verlasse das Bett, drücke meine Zigarette in dem Aschenbecher auf dem Nachtkästchen aus, nehme das Wasserglas, das daneben steht und kippe den letzten Schluck Old Grand-Dad. Dann schnappe ich mir Solomons Schrotflinte vom Kleiderschrank und lege sie samt den Patronen in den Waffensafe zu den anderen Kanonen, die ich mir im letzten Jahr organisiert habe. Früher hatte ich zwei Knarren, und das reichte völlig aus. Doch in meinem derzeitigen Arbeitsverhältnis habe ich einen beträchtlichen Verschleiß an Artillerie. Daher sammle ich alles ein, was rumliegt, wenn sich die Gelegenheit bietet.
Das Telefon klingelt. Ich hebe ab, rede ein paar Takte und lege wieder auf.
Dann gehe ich zur Tür, um endlich hier rauszukommen, um was anderes zu tun, mich abzulenken. Die Knarren lasse ich da, wo sie sind.
Wo ich hingehe, brauch ich sie nicht.
Außer, ich will meinen Chef erschießen.
Was an sich gar keine so schlechte Idee ist.
Organkurier.
Schön wär’s.
Freiberufler. Mein eigener Chef. Wie früher.
Das waren noch Zeiten.
Andererseits, als Unabhängiger, ohne Clan, der einem den Rücken freihält und mit Blut versorgt, ist es ziemlich hart. Zwar kommandiert einen keiner rum. Aber wenn man Scheiße baut, muss man selbst dafür gradestehen. Nichts als Blut, Schweiß und Tränen. Und noch dazu verdammt wenig Blut.
Mann, ich könnte jetzt wirklich einen Schluck vertragen.
– Der Candyman? Was für ein Jammer.
Ich löse mich aus meinen Gedanken und sehe Terry an, den Mann, dessen Lohnsklave ich seit einem Jahr bin. Natürlich drückt er es nicht so aus. Er würde wohl sagen, dass ich als ordentliches Mitglied der Society höheren Zielen diene. Das ist glatt gelogen. Es ist ein Hundeleben, und ich bin der Hund, aber zumindest weiß ich, wer mich angekettet hat.
– Tja, die Penner aus Soho müssen sich jetzt wohl einen neuen Dealer suchen.
Er führt Zeigefinger und Daumen bis auf wenige Zentimeter zusammen.
– Du siehst immer nur so einen kleinen Ausschnitt.
Er breitet die Arme weit aus.
– Du musst das große Ganze im Auge behalten. Deinen Horizont erweitern, Mann. Du siehst den Wald vor lauter Bäumen nicht. Nichts gegen Bäume, aber der Ausblick von einer höheren Warte aus ist einfach umwerfend. Das haut einen echt um.
Er beschattet die Augen mit der flachen Hand, als spähe er durch die Küchenwand der Mietswohnung in die Ferne.
– Lass dich darauf ein. Erweitere deine Wahrnehmung. Das ist mit nichts zu vergleichen, Mann.
Ich sehe Lydia an. Sie hat die Augen fest geschlossen und massiert sich mit den Fingerspitzen die Schläfen.
Ich deute mit dem Kinn auf sie.
– Kopfschmerzen?
Sie öffnet die Augen und wedelt mit der Hand in Terrys Richtung.
– Du nicht?
Ich werfe einen Blick auf Terry, der immer noch die Hand über den Augen hat und uns anlächelt.
– Ich hab das alles schon so oft gehört, dass ich inzwischen immun dagegen bin.
Terry lässt die Hand sinken.
– Immun gegen die Wahrheit, Joe? Hoffentlich nicht, Mann. Hoffentlich nicht.
Ich spiele mit der unangezündeten Zigarette in meiner Hand. Terry und Lydia wollen nicht, dass ich im Hauptquartier der Society rauche. Als ob sie vom Passivrauchen sterben könnten. Aber ihnen geht’s ums Prinzip . Dabei ist das einzige Prinzip beim Inhalieren von Rauch, dass es schmeckt.
– Zurück zum großen Ganzen, Terry. Ich begreif nicht, auf was du hinaus willst. Erklär’s mir.
Er lässt sich auf dem Boden nieder und verschränkt langsam die Beine, bis er den Lotussitz eingenommen
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