Das Blut Von Brooklyn
infizierte Blut des Zwerges, den Gestank seiner Eingeweide, das Kerosin, in das die Fackeln getaucht wurden, das abgestandene Bier, die Hotdogs in der Mülltonne, Zigaretten- und Haschrauch und das Aroma frischen, uninfizierten Bluts.
Ich packe Lydia, schiebe sie hinter mich und lege die Hand auf Solomons Schrotflinte.
Eine Lichterkette, die um die Seile und Stützpfeiler des Zeltes geschlungen ist, wird eingeschaltet.
Die Leute auf den Sitzreihen hören auf zu kreischen.
Der Zwerg steht bluttriefend auf der Bühne, tritt vor, stolpert über seine eigenen Eingeweide, steht wieder auf und verbeugt sich.
Jetzt sind die Zuschauer völlig aus dem Häuschen.
Der Muskelprotz hebt die Mädels auf, setzt sie auf seine Schultern, und sie winken dem Publikum mit abgetrennten Gliedmaßen zu.
Lydia reißt sich von mir los.
– Was soll das, Pitt? Wenn’s Ärger gibt, dann komm mir nicht in Quere, wenn du nichts abkriegen willst.
Ich hebe die Hände.
– Mein Fehler. Ich hab vergessen, wer hier die Hosen anhat.
– Leck mich.
Die Freaks verbeugen sich ein letztes Mal. Das Publikum lacht, klatscht, johlt, schreit und wirft mit zerknüllten Geldscheinen und Kleingeld. Die Darsteller verlassen die Bühne, und Tom Waits singt »Singapore«. Die Vorstellung ist vorbei.
Während die Zuschauer das Zelt verlassen, zähle ich nach und versuche herauszufinden, wie viele von ihnen fehlen.
– Gewissenlos! Unmoralisch! Und noch dazu irrwitzig idiotisch!
– Oh! O Jesus! O Herr im Himmel, fick mich!
Der Zwerg hat den letzten Eingeweidestrang in seinen Bauch zurückgestopft und beißt die falschen Zähne zusammen. Er hält sich die Wunde zu, während Vendetta eine glühende Eisenstange aus einem Kohlebecken zieht und gegen das zerrissene Fleisch drückt.
Der Zwerg wirft den Kopf zurück, lacht und schreit wie ein Kind in der Achterbahn.
– Hoooo! Huhuuuuuu! Oh Mann! Oh Gott! Scheeeeeeeiße!
Vendetta nimmt die Stange weg, und der Glasfresser schüttet kaltes Wasser über die improvisierte Kauterisation.
Tränen laufen aus den Augenwinkeln des Zwergs, als er den Kopf vorbeugt und ausatmet. Er grinst Lydia anzüglich an.
– Verzeihen Sie die Kraftausdrücke, aber das tut immer so scheißweh.
Er zieht eine Dose Pabst Blue Ribbon aus dem Sixpack zu seinen Füßen und öffnet sie.
– Also. Gewissenlos, sagen Sie? Da bin ich mir nicht so sicher, weil ich nicht genau weiß, was das Wort bedeutet. Aber irrwitzig idiotisch ist eine Wendung, mit der ich mich durchaus anfreunden kann. Weil sie nämlich das, wie sagt man gleich noch mal, ach ja, das Wertesystem der Freaks in zwei Worten beschreibt. Hatter, nenn mir ein gutes Wort für Wertesystem.
Der Ansager zieht ein Wörterbuch ohne Einband aus seinem Frack und schlägt nach.
– Ethos.
Lydia stemmt die Hände in die Hüften.
– Nur zu, machen Sie sich nur lustig. Aber damit werden Sie bei uns nicht weit kommen. Wenn Sie der Society beitreten wollen, müssen Sie eine Reihe von wichtigen neuen Verhaltensegeln lernen. Solche Praktiken etwa...
Sie deutet auf den Toten, der ausgestreckt auf dem Tisch liegt, den sie bei der Glasfressernummer benutzt haben. Irgendein armes Schwein, das sie während des Finales unbemerkt aus dem Publikum gezogen und aufgeschlitzt haben. Der Muskelprotz, der immer noch die Henkerskapuze trägt, drückt gegen die Brust der Leiche, und das letzte bisschen Blut spritzt aus dem Loch im Hals in ein Einweckglas, das Harm darunter hält.
– Solche Praktiken werden nicht geduldet. Willkürliche Gewaltakte und ein kaum verhüllter Mord, der geradezu nach unerwünschter Aufmerksamkeit schreit, das kann kein Clan in Manhattan gutheißen. Die Society schon gar nicht. Abgesehen von der Blutverschwendung und den moralischen Bedenken stellt sich da doch die ganz praktische Frage der Geheimhaltung. Eine Show wie diese hier in aller Öffentlichkeit abziehen? Da können Sie sich noch so sehr bemühen, alles inszeniert erscheinen zu lassen, Sie werden Aufsehen erregen. Nicht zu vergessen die rechtlichen Fragen. Haben Sie eine Lizenz? Wir sind ja nur ein paar hundert Meter vom Vergnügungspark entfernt. Was sagt die Polizei dazu?
Er leert sein Bier und nimmt sich ein frisches.
– Mit den Cops gibt’s keine Probleme. Hier auf Coney Island reicht ein Hunderter, und schon interessiert sie einen Scheißdreck, was wir hier treiben. Und was das Aufsehen angeht, nun ja, darum geht’s doch gerade, oder nicht? Ohne Aufsehen kein Publikum. Wir machen hier Sachen,
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