Das Blut Von Brooklyn
von denen die Freakshows auf dem Pier nur träumen können. Das Lustige dabei ist, dass sie von ihrem hohen Ross auf uns runtergucken und sagen, dass gerade das Inszenierte dem Freak-Lebensstil widerspricht. Wenn die wüssten, was hier wirklich abgeht, würden die kleine bunte Smarties scheißen.
– Aha, und was ist mit dem Rest der Bevölkerung? Wissen Sie, dass ein Van Helsing in Lower Manhattan sein Unwesen treibt? Was, wenn dieser Van Helsing von ihrer Show erfährt? Der merkt doch sofort, dass Sie nicht bloß mit Schweinedärmen, Maissirup und roter Lebensmittelfarbe hantieren. Was Sie hier treiben, bringt alle Infizierten in Gefahr. Ohne Erlaubnis. Ohne Vollmacht, ohne jeden Sinn und Verstand. Reine Willkür. Gewissenlos.
– Schwester, Van Helsings gibt’s nicht.
Lydia reißt die Augen auf.
– Gibt’s nicht?
– Schon mal einen gesehen? Ich jedenfalls nicht. Das ist eine urbane Legende. Eine Gespenstergeschichte, um kleine Kinder zu erschrecken. Vertrau mir, wenn du so lange dabei bist wie ich, weißt du genau, wann dich jemand verarschen will.
Lydia sieht mich an.
– Joe?
Ich sehe auf die Uhr. Der große Zeiger wandert immer weiter und raubt mir ein weiteres kostbares Stück Nacht.
Ich blicke den Zwerg an.
– In Rivington liegt ein Kerl in Einzelteilen rum.
Er sieht auf sein Bier hinunter.
– In Einzelteilen? Wie viele Stücke?
– Scheiße, woher soll ich das wissen? Ich hab sie nicht gezählt.
Er schwenkt das Bier in der Dose und nimmt einen Schluck.
– Vielleicht kannst du ja gar nicht zählen.
Ich sehe Lydia an.
– Was für Arschlöcher. Hauen wir ab, bevor wir hier noch mehr Zeit verschwenden.
Der Zwerg deutet auf mich.
– Kleiner, pass bloß auf, wen du hier Arschloch nennst.
Ich tippe auf meine Uhr.
– Terry sagt, es wären mehrere Dutzend. Ich zähle aber nur sechs Arschlöcher. Sechs Arschlöcher, mehr nicht. Schausteller. Professionelle Betrüger. Vollidioten. Lydia, wir beide wissen, dass wir keinen Einzigen von diesen Pennern nach Manhattan lassen können. Hauen wir ab.
Er sieht Lydia an.
– Du solltest deinen Hund lieber an die Leine legen, Lady.
– Joe ist kein Hund, sondern ein menschliches Wesen. Und ich bin keine Lady, sondern eine Frau.
Der Zwerg fährt mit dem Finger über die Blasen, die sich auf seinem Bauch gebildet haben. Die weißen Wundränder verwandeln sich bereits in gesunde rosa Haut. Das Vyrus legt sich dank des Blutes, das er aus dem Toten gesaugt hat, so richtig ins Zeug.
Er nippt an seinem Bier.
– Hatter, schlag im Wörterbuch unter Frau nach und sag mir, ob das nicht bloß ein anderer Ausdruck für Schnalle ist.
Lydia verschränkt die Arme und starrt zu Boden.
– Schnalle?
Der Zwerg spitzt die Lippen und legt einen Finger auf den Mund.
– Hoppla. Hab ich da was Falsches gesagt? Ist dieser Ausdruck etwa nicht mit deinem Lebensstil vereinbar, Schätzchen?
Ein Kichern breitet sich im Zelt aus. Nur der Muskelprotz lacht nicht.
Lydia atmet zischend ein. Dann sieht sie den Zwerg an.
– Wie war noch mal Ihr Name?
Der Zwerg deutet auf eine der verblassten Tätowierungen auf seinem Hals.
– Da steht’s. Stretch. Ich bin Stretch.
Sie betrachtet die Tätowierung mit zusammengekniffenen Augen.
– Stretch. Okay, wie es aussieht, habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt. Ich werde es mal anders formulieren.
Sie macht eine Pause, sieht zur Decke des Zeltes, wo der Rauch der Fackeln und des Kohlebeckens durch ein großes Loch abzieht. Dann wendet sie sich wieder dem Zwerg zu.
– Ihr seid gefickt.
Er hebt die Augenbrauen.
– Gefickt?
Sie nickt.
– Und zwar in den Arsch. Ihr hattet eure Chance, aber jetzt seid ihr offiziell in den Arsch gefickt.
Er bläst die Backen auf, streckt den Arm aus und reibt sich das Hinterteil.
– Scheiße, von hinten gefickt. Und dabei ist mir nicht mal einer abgegangen.
Wieder Kichern im Zelt. Diesmal aber weniger laut.
Lydia nickt wieder.
– Ja, nicht mal das. Wenn ich das richtig sehe, steckt euer Clan in der Klemme. Und zwar so tief, dass ihr euren kleinen, inzestuösen Ponyhof verlassen wollt und anderswo um Hilfe bettelt.
– Hilfe? Hier bettelt niemand um Hilfe. Wir sind diejenigen, die ein Angebot machen.
Sie mustert ihn von oben bis unten.
– Dass ich nicht lache.
Er springt auf, und sein Gesicht verzieht sich, weil seine frisch verheilte Wunde spannt.
– Halt dein loses Mundwerk im Zaum, Frau .
Lydia schaut zu mir.
– Endlich bezeichnet er mich als das, was ich bin,
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