Das Blut von Magenza
Füße des Gekreuzigten. Nachdem er lange den Korpus betrachtet hatte, meinte er schließlich mit belegter Stimme: „Ich will nichts von alldem. Geh und bring Griseldis wieder in das Haus. Sie versteht es, mich aufzuheitern.“
Der Diener verzog keine Miene. Auch wenn er diese Zusammenkunft nicht guthieß, tat er ohne ein Wort zu verlieren, was ihm aufgetragen worden war. Bevor er ging, richtete er in der Küche einen Korb mit Essen und Wein. Dann verließ er den Palast, um Griseldis zu holen.
Ruthard fühlte sich nach dieser Entscheidung befreit. Er schlüpfte in die Mönchskutte und gelangte unbemerkt von den Palastwachen ins Freie. Für den Weg nahm er sich Zeit, denn er wollte nicht als Erster am Treffpunkt sein. Griseldis sollte nicht den Eindruck bekommen, dass er es kaum erwarten könne, sie zu sehen. Bei seiner Ankunft sah er Licht brennen und augenblicklich beschleunigte sich sein Herzschlag.
Griseldis‘ Wangen waren vom schnellen Laufen leicht gerötet und sie erschien Ruthard noch schöner als das letzte Mal. Sie ging vor ihm in die Knie und er warf einen kurzenBlick auf ihren Busen.
„Erhebe dich, das hier ist kein offizieller Anlass. Wie ich sehe, bist du noch nicht lange hier.“
„Ich hatte gerade noch Zeit, das Nonnengewand auszuziehen.“
Friedbert, der alles hergerichtet hatte, zog sich zurück.
Vorhin hatte Ruthard keinen Appetit gehabt, jetzt lief ihm beim Anblick der Speisen das Wasser im Mund zusammen. „Setzen wir uns“, forderte er Griseldis auf und plauderte dann unbefangen weiter. „Es ist schön, dass du kommen konntest.“
„Eigentlich hatte ich heute Abend eine Verabredung mit Jörg, dem Verwalter von Gerhards Landsitz. Aber Gerhard brauchte ihn unerwartet und so sagte er mir im letzten Augenblick ab. Was gibt es denn Wichtiges, dass Ihr mich so dringend sprechen wollt?“
„Ich hatte einfach das Bedürfnis, unsere Unterhaltung vom letzten Mal fortzusetzen“, behauptete er nicht ganz der Wahrheit entsprechend.
Griseldis fragte sich, was es daran fortzusetzen gab, denn es war alles gesagt worden. Deshalb vermutete sie einen anderen Grund für das Treffen. Sein angespanntes Verhalten verriet ihn, aber sie wollte es ihm nicht leicht machen. Er musste den ersten Schritt tun, damit er später nicht behaupten konnte, sie hätte ihn zur Sünde verführt.
„Ist dein Bruder endlich gekommen?“
„Nein, ich habe schon länger nichts mehr von ihm gehört“, entgegnete sie und machte ein betrübtes Gesicht. „Ich hoffe nur, ihm ist nichts geschehen.“
„Er wird bestimmt bald gesund und munter hier eintreffen. Gibt es sonstige Neuigkeiten?“
„Nicht, dass ich wüsste. Mein Leben ist doch recht eintönig. Viele Bekanntschaften habe ich noch nicht geschlossen und so verbringe ich die meiste Zeit zu Hause. Aber warum erzählt Ihr mir nichts von Euch. Woher kommt Ihr? Und warum wurdet Ihr Geistlicher?“
„Das interessiert dich wirklich?“, fragte er überrascht, denn er war davon ausgegangen, dass derlei Dinge sie langweilten.
„Ja“, ermunterte sie ihn.
Ruthard griff nach dem Pokal und nahm einen kräftigen Schluck. „Teile meiner Verwandten kommen aus dem nahegelegenen Rheingau, ein anderer Zweig lebt in Thüringen. Ich entstamme keinem Adelsgeschlecht, sondern einer Familie von Ministerialen und bin der Einzige, der die geistliche Laufbahn einschlug. Meine beiden Brüder heißen Dudo und Embricho.“
„Der Kämmerer ist Euer Bruder?“, staunte sie.
„Nein, er trägt nur den gleichen Namen, der übrigens hierzulande recht geläufig ist. Aber er ist ebenfalls mit mir verwandt. Du fragst dich gewiss, wie ein relativ einfacher Mann wie ich bis zum Erzbischof und Reichskanzler aufsteigen konnte?“
Griseldis wusste sehr wohl, wie das vonstattenging, aber sie ließ ihn im Glauben, ahnungslos zu sein.
„Ich trat als Knabe dem Ordo Sancti Benedicti bei und wurde Abt des Klosters St. Peter und Paul in Erfurt. Nachdem Erzbischof Wezilo starb, übertrug man mir mein jetziges Amt, das ich nun seit beinah sieben Jahre innehabe. Dies geschah damals auf Veranlassung von Kaiser Heinrich IV.“
„Dann verdankt Ihr ihm einiges.“
„Ja, und deshalb bin ich auch sein ergebener Kurfürst.“
Griseldis bemerkte, dass er sein weltliches Amt in denVordergrund stellte. Tat er es in der Absicht, von seinem Status als Gottesmann abzulenken?
„Wie steht Ihr eigentlich zum Pontifex? In Zeiten wie diesen ist es gewiss nicht einfach, die richtige Position zu
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