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Das Blut von Magenza

Das Blut von Magenza

Titel: Das Blut von Magenza Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Platz
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schmecken.
    „Was hast du heute vor?“, fragte ihn seine Gastgeberin.
    „Ich werde erst zu Kalonymos gehen, dann in die Mikwe, und wenn ich noch Zeit finde, werde ich mich um meine Geschäfte kümmern.“
    „Du bist aber zum Beginn des Sabbats wieder da, oder?“
    „Ja“, versicherte er ihr.
    „Heute Abend sind mein Onkel David bar Natanael und seine Familie nämlich zu Gast. Deine Anwesenheit hat sich übrigens schon herumgesprochen. Beim Einkaufen erkundigte man sich nach meinem Gast.“
    Jonah erwiderte lachend: „Das ging ja schnell! Geheimnisse verbreiten sich hier wohl rasch, oder?“
    „Das hängt davon ab. Was in Mainz im Dunkeln bleiben soll, bleibt es in der Regel auch. Zumindest für eine gewisse Zeit“, fügte sie noch hinzu. „Und deine Ankunft geschah ja nicht in aller Heimlichkeit.“
    „Das stimmt. Denkst du, Kalonymos hat so früh am Morgen Zeit für mich?“
    „Er erwartet dich gewiss schon.“
    Bevor Jonah zum Gemeindevorsteher ging, suchte er die Synagoge auf. Lange hatte er keinen Gebetsraum mehr von innen gesehen und es tat ihm gut, sich in Ruhe zusammeln. Wenn er dem Parnass gegenübertrat, musste er die richtigen Worte finden, denn sollte er ihn nicht überzeugen, war seine Reise vergebens gewesen. Innerlich gewappnet verließ er das heilige Gebäude.
    Die Stadt hatte sich während seiner Abwesenheit kaum verändert. Alles schien wie immer und die schmalen Häuser drängten sich in den engen Gassen noch genauso dicht, wie er es in Erinnerung hatte. Respektabler Wohlstand ließ sich erkennen, der aber nicht offen zur Schau gestellt wurde, das geziemte sich nämlich nicht.
    Und genau dieser Wohlstand stimmte ihn nachdenklich, denn er musste für die Kreuzfahrer verlockend sein. Das Gold und Silber der Juden reichte aus, um die Krieger einige Zeit zu versorgen. Auch Warmaisa und Schpira waren wohlhabend und überaus geschätzt, aber der Ruhm Magenzas übertraf den der beiden anderen Gemeinden. Gemeinsam hatten die drei vor einigen Jahren den SchUM-Verband gegründet. Seitdem waren sie nicht nur für die aschkenasischen Juden in der Diaspora ein leuchtendes Vorbild was Wohlstand, gesellschaftliche und wissenschaftliche Reputation anbetraf. Aber genau dieses hohe Ansehen löste nicht nur Wohlgefallen aus, sondern weckte auch Begehrlichkeiten. Mancher Bürger sah in den Privilegien, die den Juden vom Kaiser und den Bischöfen gewährt wurden, eine einseitige Bevorzugung zu deren Gunsten und zum eigenen Nachteil. Aber noch waren diese Neider deutlich in der Minderzahl.
    Jonah erreichte schließlich die Gasse, in der Kalonymos wohnte. Die Wintersonne strahlte vom Himmel und kein Lüftchen regte sich. Kurz bevor er das Wohnhaus des Gemeindevorstehers erreichte, geschah etwas Seltsames. Urplötzlich fegte ein eiskalter Windzug durch die Gasseund blies ihm heftig entgegen, sodass er die Hände vor das Gesicht heben musste, um es zu schützen. Jonah erschauerte, denn dieser himmlische Bote brachte die grausigen Erinnerungen aus Rouen mit. Nach Atem ringend, presste er sich fest an eine Hauswand und schloss die Augen. Auf einmal sah er sich knöcheltief in dunkelrotem, zähflüssigem Blut stehen, das seine Schuhe durchtränkte und durch die Ritzen des Pflasters in den Boden eindrang. Ein Schrei lag auf seinen Lippen, doch er blieb stumm. Die Vision verschwand so rasch wie sie gekommen war, aber sie ließ ihn bebend vor Angst zurück. Als er seine Augen vorsichtig öffnete, war alles wie zuvor, die Sonne schien und es war windstill. Doch Jonah ließ sich durch dieses Idyll nicht täuschen – soeben war er dem Tod begegnet.
    Er brauchte einige Augenblicke, um sich zu fassen, und ging dann zur Tür. Auf sein Klopfen hin öffnete ein Diener, der ihn hereinbat. Jonah berührte beim Eintreten die Mesusah länger als gewöhnlich. Das Zimmer des Parnass spiegelte die Gelehrtheit seines Besitzers wider. An zwei Wänden waren Bretter angebracht, auf denen er die unterschiedlichsten Schriften aufbewahrte. Kalonymos brütete gerade über einem Talmud-Kommentar von Raschi und blickte auf, als sein Gast hereinkam.
    „Schalom, Jonah! Welche Freude, dich zu sehen. Ich hörte schon, dass du in der Stadt bist. Erzähl mir, wie es dir und unseren Brüdern in Rouen geht!“, rief er erfreut.
    Jonah erwiderte den Gruß und sagte dann ernst: „Unserer Gemeinde ist Schlimmes widerfahren. Deshalb wurde ich geschickt.“
    Der Parnass wurde ernst und musterte Jonah eingehender. Dabei entgingen ihm weder dessen

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