Das Blut von Magenza
sein, denn er schickte jeden weg, der sich dort hinsetzen wollte“, waren sich die beiden einig.
„Könnt Ihr diesen anderen Mann, der sich zu ihm setzte, beschreiben?“
Einer kratzte sich verlegen im Nacken und legte die Stirn in Falten. „Das ist schwierig. Diese Ecke ist verdammtduster. Der Kerl war ziemlich klein und trug einen ungewöhnlich großen Hut, der sein Gesicht verdeckte.“
„Weißt du mehr?“, wollte Hanno von dem anderen wissen.
„Nein.“
„Habt Ihr etwas von ihrem Gespräch mitbekommen?“, vergewisserte er sich.
Wiederum verneinten sie. „Die beiden haben sehr leise geredet. Der Tote gab einen Krug Wein aus, demnach verstanden sie sich wohl recht gut. Außerdem kamen kurz darauf die Musikanten, und als die aufspielten, haben wir nur auf sie geschaut.“
„Hat sonst noch jemand etwas zu sagen?“, fragte Hanno laut in die Runde.
Der Dudelsackspieler räusperte sich. „Auf der Straße sprach uns ein Kerl an, auf den diese Beschreibung passen könnte. Er bot uns Geld für unseren Auftritt hier. Er meinte nur, dass wir ihm etwas später in die Schenke folgen sollten.“
„Da du mit ihm geredet hast, kannst du mir vielleicht eine bessere Beschreibung liefern?“
„Leider nein, seine Gestalt war ungewöhnlich stark verhüllt, sodass man nichts erkennen konnte. Seine Stimme klang irgendwie heiser und er flüsterte nur.“
Hanno hatte keinen Zweifel, dass der Mann die Spielleute bestellt hatte, damit er sein Verbrechen möglichst unbemerkt begehen konnte. Ein weiterer Beweis für seine Skrupellosigkeit und seine Raffinesse.
„Kennt jemand den Toten?“
Alle schüttelten die Köpfe.
„Ihr habt ihn ja gar nicht richtig angeschaut. Helft mir, ihn auf den Tisch zu legen, damit jeder sein Gesicht sehen kann“, forderte er von einem Gast.
Widerstrebend half er Hanno, der dem Leichnam dieHaare aus der Stirn strich und eine Fackel über sein Antlitz hielt. Während Hanno ihn betrachtete, regte sich in seinem Gedächtnis eine vage Erinnerung. Obwohl er ihn nicht erkannte, meinte er doch, ihm schon einmal begegnet zu sein. Er wusste nur nicht mehr wann und wo.
Schließlich fragte er: „Nun, was sagt ihr?“, aber er bekam keine Antwort.
„Du hast so einen seltsamen Gesichtsausdruck. Kennst du ihn etwa?“, fragte der Wirt verwundert.
„Ich bin mir nicht sicher, möglich, dass es mir wieder einfällt“, wiegelte Hanno ab. „Ich schicke Soldaten, damit sie den Leichnam abholen. Deine Gäste können nun gehen. Am besten, du schließt die Schenke, wenn sie fort sind, und bleibst so lange hier, bis er weggeschafft ist.“
Der Wirt war nicht sonderlich erbaut, Totenwache halten zu müssen, aber andererseits froh, dass Hanno die Untersuchung an sich gerissen hatte. Das ersparte ihm einiges an Unannehmlichkeiten.
Bevor Hanno ging, durchsuchte er noch die Kleidung und zog ein Messer hervor, das er einsteckte. Seine Finger hatten aber auch noch ein Säckchen ertastet, welches er unbemerkt verschwinden ließ. Er wunderte sich allerdings, dass die Geldbörse des Ermordeten fehlte. „Hast du seinen Geldbeutel?“, fragte er den Wirt, da dieser den Toten zuerst entdeckt hatte.
„Nein, wo denkst du hin! Ich bin doch kein Dieb“, empörte er sich. „Aber er hatte einen dabei, das weiß ich, sonst hätte er ja nicht bezahlen können. Denkst du, er wurde wegen seines Geldes getötet?“
„Alles ist möglich“, meinte Hanno und verabschiedete sich.
Im Gehen scheuchte er die letzten Gäste hinaus und hörte noch, wie die Tür hinter ihm energisch geschlossen wurde.
Mainz
Hanno eilte zum erzbischöflichen Palast, um alles für die Abholung der Leiche zu veranlassen. Dabei spürte er eine Erregung wie seit Langem nicht mehr und fühlte sich wie ein Jagdhund, der Witterung aufgenommen hatte. Endlich hatte er eine neue Aufgabe. Das Schicksal meinte es wieder gut mit ihm, sonst hätte es ihn nicht in diese Schenke geführt. Dieser Mord bot ihm die langersehnte Möglichkeit, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Nach Tagen der Untätigkeit war er wieder gefordert und zugleich hellwach. Sollte er dieses Verbrechen aufklären, konnte er das Vertrauen des Kämmerers in seine Fähigkeiten zurückgewinnen und ihm zeigen, dass er selbst mit Gedächtnislücken noch zu etwas taugte. Er hoffte inständig, dass ihm die Untersuchung auch erlaubt wurde.
Noch immer zerbrach er sich den Kopf, warum der Tote ihm bekannt vorkam. Er kramte in seinem lückenhaften Gedächtnis und versuchte, sich ihn
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