Das Blut von Magenza
als Lebenden vorzustellen, in anderer Kleidung, bei Tageslicht, mit Bart und anderer Frisur. War es möglich, dass er der Mann aus dem Speyerer Gasthaus und der Battenheimer Schenke sein konnte?
„Ich lasse den Toten gleich abholen“, versprach ihm Burckhart, nachdem Hanno ihm alles berichtet hatte. „Und ich veranlasse auch, dass der Battenheimer Wirt morgen geholt wird, damit er deinen Verdacht bestätigt oder ausräumt. Außerdem werden meine Männer sich in sämtlichen Unterkünften umhören, denn er wird in der Stadt gewohnt haben. Willst du dich an den Untersuchungen beteiligen?“, fragte ihn der Hauptmann.
„Wenn mein Herr es mir gestattet, gerne. Vielleicht sehen wir uns morgen früh schon wieder“, verabschiedete sich Hanno.
Im Anwesen des Kämmerers ging er direkt in seine Kammer und setzte sich aufs Bett. Er war viel zu aufgewühlt, um gleich zu schlafen. Stattdessen nahm er das Leinensäckchen, das er bei dem Ermordeten gefunden hatte, aus seinem Hosenbund. Es war nicht sonderlich groß und gut verschnürt. Hanno fand darin einen Rosenkranz und ein Amulett. Ersterer schien neu zu sein, der Glücksbringer dagegen war alt. Die Dinge waren billiger Plunder und er hätte beide Gegenstände eher einem Kirchenmann als so einem Kerl wie dem Toten zugeordnet. Da sie aber ordentlich verpackt waren, mussten sie für ihn eine gewisse Bedeutung besessen haben.
Gedankenverloren spielte Hanno mit dem Amulett. Er drehte es hin und her und tastete es mit den Fingerkuppen ab. Plötzlich spürte er feine Einkerbungen, die ihm beim Betrachten im schwachen Lichtschein entgangen waren. Er hielt es direkt unter die Kerze und entdeckte den schwachen Umriss eines Helms. Sollte sein Besitzer es markiert haben?
Dienstag, 8. Januar 1096, 11. Schewat 4856
Mainz
Der Mord war das Stadtgespräch. Bei den Metzgern, den Bäckern, auf den Märkten, in den Läden der Händler, den Vierteln der Handwerker, selbst in den Klöstern redete man über nichts anderes als über die Bluttat. Hanno hatte dem Kämmerer gleich nach dem Aufstehen davon erzählt und darum gebeten, an der Untersuchung teilnehmen zu dürfen. Embricho gab ihm die Erlaubnis und Hanno ging gleich nach dem Frühstück wieder zu Burckhart.
Der Hauptmann hatte auf ihn gewartet und sie begutachteten nun gemeinsam die entkleidete Leiche. Die Hautfarbe zeugte von einem regelmäßigen Aufenthalt im Freien und der Mann war kräftig und muskulös; gehungert hatte er jedenfalls nicht. Hanno konnte nichts entdecken, was er nicht gestern Nacht schon gesehen hätte.
„In seiner Kleidung haben wir nichts Interessantes gefunden“, bemerkte Burckhart. „Die einzige Wunde ist der Einstich auf dem Rücken, der ihn augenblicklich tötete. Die Waffe könnte von einem Gnadendolch stammen. Er ist klein, leicht zu verstecken, gut zu handhaben und passt zur Größe der Verletzung.“
„So etwas besitzt nicht jeder“, stellte Hanno fest. „Unser Mörder ist ein besonderer Mann. Er wusste genau, was er tat. Der Stich erfolgte präzise und platziert. Es gab für ihn nur diese eine Gelegenheit. Hätte er sie vermasselt, hätte der Tote sich wehren oder um Hilfe rufen können und der Mordanschlag wäre gescheitert. So aber hat niemand die Tat bemerkt. Es muss blitzschnell geschehen sein“, analysierte er.
„Das zeugt von Kaltblütigkeit und Wagemut.“
„So sehe ich es auch“, bestätigte ihm Hanno. „DeineMänner sind auf der Suche nach dem Quartier des Ermordeten?“
„Ja, und zwei sind unterwegs nach Battenheim. Spätestens heute Abend wissen wir mehr.“
„Vielleicht sogar schon früher“, erwiderte Hanno geheimnisvoll und kramte den Gottesmutteranhänger hervor. „Dies und einen Rosenkranz fand ich gestern bei einer oberflächlichen Durchsuchung seiner Kleider. Ich wollte sichergehen, dass der Wirt ihm nichts entwendet, wenn er mit ihm allein ist“, begründete Hanno die Durchsuchung. „Sagt dir das etwas?“
Der Hauptmann warf einen langen Blick darauf. „Nein, es ist nur ein einfaches Amulett.“
„Schau es dir genauer an, vor allem die Rückseite“, forderte Hanno ihn auf.
Erst jetzt bemerkte der Soldat die Einkerbung. „Ein Helm!“, bemerkte er voller Staunen. „Weißt du, was das bedeuten könnte?“, fragte er aufgeregt.
„Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen und mir kam heute Nacht so ein Gedanke. Mal sehen, ob er in die gleiche Richtung geht wie deiner.“
„Wenn ich mich nicht irre, ist ‚Helm‘ ein Bestandteil des Namens
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