Das Blut von Magenza
rechtzeitig konnte er daran gehindert werden, aber das Tier hatte sich so erschrocken, dass es durchging und unter lautem Gebrüll geradewegs durch das Tor stürmte. Yrmengardis konnte sich nur durch einen beherzten Sprung zur Seite in Sicherheit bringen.
Nachdem die Kuh entkommen war, brach ein wildes Handgemenge aus. Jeder ging auf jeden los, Hasstiraden und Fäuste flogen hin und her, Waffen schlugen aneinander und sorgten für etliche Verletzungen. Die Befehle Gerhards, des Hauptmanns und Graf Bolkos gingen im Schlachtgetümmel unter. Plötzlich ertönte ein markerschütternder Schrei, der die Kämpfenden erschrocken innehalten ließ. Einer der Kreuzfahrer griff sich an seinen Bauch und wankte. Zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor. Die Pilger stellten die Kampfhandlungen ein und sammelten sich um den Verletzten. Der Hauptmann handelte rasch. Solange sie abgelenkt waren, scheuchte er die verbliebenen Dörfler in die Stadt und zog sich mit seinen Männern und denen Gerhards geordnet zurück. Er selbst bildete mit Gerhard den Abschluss.
Die Pilger bemerkten zu spät, was vorging. Burckhart undder Stadtgraf erreichten gerade das Tor, als ihr Wortführer wütend seine Faust ballte, sie gegen Mainz richtete und losgeiferte. „Der Herr wird Rechenschaft von euch verlangen. Diese Tat muss gesühnt werden! Ihr werdet sehen, dass er auf unserer Seite ist und uns Genugtuung verschafft.“
Ein letztes Mal wehrte sich der Hauptmann. „Ihr habt das selbst zu verantworten. Hättet ihr uns nicht angegriffen, wäre es nicht so weit gekommen. Sucht also die Schuld nicht bei uns!“
Seine Worte fanden kein Gehör. Bis tief in die Nacht tobten sie vor den Mauern und ergingen sich in immer abscheulicheren Hassparolen, die bis weit in die Stadt zu hören waren. Den Flüchtlingen saß der Schrecken noch in den Gliedern, aber sie waren froh, alles heil überstanden zu haben. Die Wachleute des Bischofs führten sie in ihr Lager, während Widukind nach Hause ging und Hanno die Familie des Grafen zum Anwesen des Kämmerers brachte.
Auf dem Weg dorthin lief er neben Yrmengardis her. Sie war blass und still, denn der Tod des Kreuzfahrers hatte sie betroffen gemacht.
„Du warst vorhin sehr mutig“, meinte er zu ihr, während er sein Pferd fest am Zügel hielt.
„Ich bin selbst über mich erstaunt. Nie hätte ich gedacht, dass ich so entschlossen sein kann. Es ist nur schrecklich, was soeben geschehen ist“, stellte sie erschüttert fest.
„Das stimmt, und nach allem, was sich in Speyer und Worms ereignete, musste man noch mit weit Schlimmerem rechnen. Keiner wollte seinen Tod, aber plötzlich ging es drunter und drüber, und im Eifer des Gefechts passierte es eben“, meinte er betrübt.
„Ich hoffe nur, dass das kein schlechtes Omen ist“, sagte Yrmengardis leise.
Unter den Juden
Der Sabbat hatte begonnen und Sara, Rachel und Isaac saßen im Schein des Sabbat-Leuchters am Tisch. Isaac aß aufgrund der Fastenaufforderung nichts, Sara und Rachel nur wenig. Ihnen war nicht nach reden zumute. Angst schnürte ihre Kehlen zu und jeder Laut außerhalb des Hauses ließ sie zusammenfahren. Selbst das harmlose Bellen eines Hundes erschien ihnen wie die Posaunen von Jericho.
Kalonymos hatte die Gemeinde aufgeteilt und jeder wusste, wohin er sich nach dem Sabbat zu begeben hatte. Sara sollte mit ihrer Familie zu Gerhard in die Burg gehen. Ihnen blieben also nur noch wenige Stunden und Sara fragte sich zum hundertsten Mal an diesem Tag, wann endlich ihr Nachbar kommen und sie wegbringen würde.
Widukind befand sich indessen auf dem Weg zu Conrad. Als er zu dessen Unterkunft kam, war er nicht da und niemand wusste, wo er sich befand. Seit dem Morgen hatte ihn niemand mehr gesehen. Enttäuscht und der Verzweiflung nahe schlich Widukind nach Hause. Was sollte er nur Sara sagen?
Obwohl er Hunger hatte, schmeckte ihm sein Essen nicht. Er schob es weg und legte sich auf die Bank und grübelte. In Gedanken spielte er die wenigen Möglichkeiten durch, die ihm blieben, aber er konnte sich nicht entscheiden. Irgendwann klopfte es an der Tür und er öffnete sofort. Conrad war endlich gekommen und Widukind fiel ein Stein vom Herzen.
„Endlich!“, rief er und ließ seinen Freund herein.
„Es ist soweit“, sagte der Mönch nur und trat ein. „Dochbevor du die drei holst, erzähl mir kurz, was heute vor der Stadt vorgefallen ist.“
Widukind berichtete ihm mit knappen Worten. „Keiner weiß, wie der Pilger zu Tode kam. Aber die
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