Das Blutband: Der 11. Handyman Jack Thriller (German Edition)
hatte. Für Gia war Emma sehr real gewesen, eine kleine Person, die sich in ihr drehte und sie von innen getreten hatte. Für Gia war sie auf jeden Fall wirklicher gewesen als für ihren Vater, Jack.
Gias Wunden waren sehr tief.
Und dass sie nicht imstande war, alles für Vicky zu tun, verlangsamte den Heilungsprozess noch mehr.
Ihre motorischen Fähigkeiten waren noch nicht wieder vollkommen hergestellt, obwohl sie meilenweit von dem Zustand entfernt war, in dem sie gewesen war, als sie aus dem Koma erwachte. Physio- und Bewegungstherapie hatten ihre manuellen Fertigkeiten zu 90 Prozent wiederherstellen können, aber die fehlenden zehn Prozent machten sie wahnsinnig.
Sie konnte Vicky nicht das Haar flechten.
Und sie konnte nicht zeichnen oder malen – jedenfalls nicht mehr so, wie sie das vorher getan hatte.
Und das bedeutete, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht verdienen konnte. Mit Werbegrafik bestritt sie ihr Einkommen, aber ihre privaten Gemälde beruhigten ihre Seele. Sie arbeitete täglich an beidem in ihrem Atelier im zweiten Stock, aber ihr gefiel kaum etwas von dem, was sie als Auftragsarbeiten fertigstellte, und sie weigerte sich, Jack ihre privaten Bilder zu zeigen. Er hatte so seine Befürchtungen, sie würde eines Tages explodieren und er würde sie über das ganze Atelier verteilt vorfinden.
»Komme ich zu spät zur Schule, Mommy?«
»Das hast du mich gerade schon einmal gefragt, erinnerst du dich?«
Vicky rümpfte überlegend die Nase, dann nickte sie. »Ach ja.«
Der einzige Schaden, den Vicky zurückbehalten hatte, war ihr Kurzzeitgedächtnis, aber das besserte sich ständig. Der Neurologe meinte, in ein paar Monaten würde bei ihr wieder alles normal sein. Ihre Lehrer nahmen Rücksicht darauf und erließen ihr einen großen Teil der Hausaufgaben.
Jack sah an den Bücherregalen entlang, die sich an einer Seite ihres Schlafzimmers bis zur Decke erstreckten. Erfreulicherweise war Vicky immer noch ein nimmersatter Bücherwurm. Sein Blick wanderte über ihre Jets-Fahne – sie war immer noch ein begeisterter Fan – und über die vier unnatürlich schönen Jungengesichter, die sich auf dem Boyville-Poster tummelten. Bedauerlicherweise war das auch immer noch ihre Lieblingsband.
Gia löste den missglückten Zopf wieder.
»Mach du das lieber, sonst kommt sie wirklich zu spät.«
Als sie aufstand, um Jack Platz zu machen, ergriff der ihren Ellbogen.
»Meinetwegen, aber ich brauche deine Anleitung. Ich habe das immer noch nicht verstanden.«
Das stimmte nicht. Er hatte ihr so oft dabei geholfen, er konnte das im Schlaf.
Also stand sie hinter ihm und leitete ihn an, wie er das Haar auskämmen musste, ein größeres Büschel Haare abtrennte, und dann den Zeige- und den Mittelfinger hindurchsteckte, um drei separate Strähnen zu erhalten. Dann kam der schwierige Teil, wo er die Strähnen zwischen seinen Fingern festhalten musste, während er neue Strähnen aufnahm, um sie einzuflechten. »So … und mit welcher fange ich jetzt an?«
Er spürte einen sanften Boxhieb auf dem Rücken und hörte Gia leise lachen.
»Als ob du das nicht wüsstest.«
Sie massierte seine Schultern, während er mit den Haaren beschäftigt war.
»Mann, wenn die Typen bei Julio’s dich jetzt sehen könnten.«
»Was meinst du damit?«
»Na ja, ich bezweifle, dass das der Mann ist, den sie kennen.«
»Vielleicht nicht. Aber sie würden kein Wort darüber verlieren.«
»Keine verstohlenen Anstupser? Keine dummen Sprüche?«
»Nä.«
»Wieso nicht?«
Er sah hoch und blinzelte ihr zu. »Wegen dem Typen, den sie kennen.«
Er flocht den Zopf zu Ende – irgendwie war es ausgesprochen beruhigend, sich mit Vickys Haar zu beschäftigen – und fixierte ihn mit einem blauen Haarband.
»Da. Gar nicht schlecht für einen Mann, oder?«
Gia beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Eigentlich ist das sogar toll. Und danke, dass du so viel Geduld hast.«
Er sah sie an. »Geduld? Was hat das mit Geduld zu tun?«
»Alles. Geduld ist nicht deine starke Seite, Jack … Danke, dass du es mit mir aushältst.«
Während sie Vicky nach unten begleitete, blieb Jack auf dem Bett sitzen. Er starrte durch Vickys Fenster auf die immer noch kahlen Äste und fühlte sich mies. Sogar noch schlimmer. Er kam sich vor wie eine Ratte. Und noch dazu eine feige Ratte.
Geduldig? Natürlich war er geduldig. Er hätte immer Geduld mit ihr, egal was da kam. Und angesichts der Tatsache, dass er der Grund für ihre Verletzungen
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