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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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gebiete es ihr. Er sei immer gut zu ihr gewesen, sie könne ihn nicht betrügen. Es gebe da jetzt einen jungen Mann, auf den sie nicht verzichten könne – sie sei verzweifelt, aber sie habe keine Wahl – sie rechne mit Wereschnikows Geduld, er müsse ihr Zeit lassen, eine Trennung komme für sie nicht in Frage – sie denke nur an Sascha, sie liebe ihn, aber diese Verrücktheit, die müsse sie nun erst einmal erleben dürfen – »und anderes Vernünftiges und Liebevolles und Zärtliches, während das Sperma nur so durchs Telephon troff«. Das war so laut gesprochen, in unwillkürlichem Entgleisen der Stimme, daß nun doch die Umsitzenden aufhorchten und amüsiert zu ihrer Seite herüberblickten. Das war aber die Sprache, die Rotzoff schätzte, nichts da mehr von »schönen Begegnungen«. Ein Ingenieurstudent aus Novi Sad – »nennt sich Jugoslawe, ist also Serbe, nur Serben nennen sich noch Jugoslawen«, es tat Wereschnikow gut, über den Eindringling in sein Glück etwas kenntnisreich Überlegenes sagen zu können. Es war aber nicht die Philosophie, was dem jungen Mann den Weg zu Maruscha gebahnt hatte. Er war schwindelfrei und verdiente ein bißchen Geld als Fensterputzer in Breegens Appartement-Häusern. Maruscha hatte nicht gezögert und das Nächstliegende getan, getreu der Lebenserfahrung ihrer alten Lehrmeisterin Kasia, der Welterfahrenen, die davon gesprochen hatte, unter ihren Freundinnen habe bei den langen Fahrten im Orient-Expreß stets gegolten, sich als erstes den Schaffner zu sichern.
    »Jetzt ist der Augenblick der Generosität gekommen«, sagte Rotzoff, während Wereschnikow ihn voll Gram und Bangigkeit ansah; auch Rotzoff hatte das Nächstliegende im Sinn; drei Billetts für das jetzt schon sagenumwobene Fest – Maruscha werde ihm dankbar sein, werde glücklich, ihrem Serben etwas zu bieten, werde zugleich von Zärtlichkeit für Wereschnikow erfüllt; »Sie müssen jetzt die väterliche Nummer durchziehen!«
    Wereschnikow grub seinen schönen Kopf in die starken großen Hände. Gerötet, als sei er geohrfeigt worden, tauchte er wieder daraus hervor. »Ich muß aber doch nicht dulden, daß er meinen Schlafanzug trägt …?«
    »Das würde ich mir verbitten.« Rotzoff übte sich in ölgötzenartiger Ausdruckslosigkeit, wie bei dem einzigen Kartenspiel, das er beherrschte. In ihm tobte ein Höllengelächter.

Einundzwanzigstes Kapitel
    Nichts anzuziehen
    Wie es aussah oder jedenfalls aussehen konnte, wenn Ivana errötete, das wußte ich, das mußte Winnie mir nicht beschreiben. Ich fand, daß sie inzwischen römischer denn je aussah, provinzial-römisch müßte man wohl sagen, aber als Kaiser Diokletian am adriatischen Meer seinen einzigartigen Palast baute, der in seinen Mauern dann später die ganze Stadt Split aufnahm, da war Dalmatien nicht Provinz. Sie trug ihr Haar neuerdings scharf zurückgerissen, das war für das Putzen gewiß die praktischste Frisur. Natürlich dachte sie keinen Augenblick an antike Vorbilder, denen sie aber um so näher kam. Wenn ihr Gesicht jedoch errötete, wohnte man einer bedrohlichen Verwandlung bei: Nie habe ich ähnliches gesehen. Dazu erinnere man sich an ihre große gewölbte Stirn, diesen Stirnschild – Courbet hat eine »Geisterseherin« gemalt, ein Mädchen, das in Trance unter genau einer solchen schildhaften Stirn hervorstarrt. Wer das Physiognomische deuten wollte, hätte unter der klassizistischen Ruhe dieses Kopfes eine Anlage zu kämpferischen Wutausbrüchen entdecken dürfen. Für Ivana war die Ring-Affaire mit der Rückgabe des Rings und dem Geständnis gegenüber Winnie nicht abgeschlossen. Sie hatte sich angreifbar gemacht – sie, die stets als erste angriff und es sich zum Stolz anrechnete, daß sie stets im Recht war. Nicht im Recht zu sein war ihr unerträglich, erschütterte ihre Lebenssicherheit, brachte ihre Stellung zu den Mitmenschen aus dem Gleis. War sie im Recht – sie war immer im Recht –, konnte sie großmütig sein – ungern, aber sie bekam das hin. Sie mußte nicht immer alles bis zum bitteren Ende klären, obwohl sie davor nicht zurückschreckte, aber das Rechthaben gab ihr die Kraft, dem Unrechthabenden womöglich gar mit einem unübersehbar römisch getönten Schaulächeln entgegenzutreten. Im Unrecht zu sein beraubte sie ihrer Möglichkeit zum sozialen Umgang; sie ertrug die Vorstellung nicht, ihrem Gegenüber im Zustand der moralischen Schwäche zu begegnen. Es gab dann für sie nur eine einzige Lösung:

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