Das Blutbuchenfest
hatte das sein Ressentiment geweckt? Hatte er entdeckt, daß er sich neben einem zartflüglerischen Geschöpf wie Winnie, einer immer neu herauszufindenden, auf den ersten Blick kaum auffälligen Schönheit wohler fühlen würde, männlicher, denn darum ging es ihm doch wohl vor allem? In der rohesten Manier hatte er sie eben noch von sich weggebissen – war ich nicht Augenzeuge ihrer Erschütterung geworden? –, nur um wieder Reiz darin zu finden, die eben Verstoßene, kaum daß sie ein wenig zur Ruhe gekommen war, erneut an sich heranzulocken, bis sie ihm wie die Krähe in Glücks Garten ihr Köpfchen entgegenstreckte, um dankbar eine flüchtige Liebkosung zu genießen. Er allein würde entscheiden, wie lang. Dann dachte ich daran, wie sie ihre von mir so geliebten Lippen malträtierte, wie sie darauf herumbiß, wie sie sie einsaugte, mochte sie am Ende den Schmerz? Erfüllte er ihr einen geheimen oder gar nicht so geheimen Wunsch, wenn er sie niederträchtig behandelte? Ich entfalte diesen Gedankengang, um mir begreiflich zu machen, was es vielleicht war, das meinen Haß auf ihn in eine Zerstörungswut gegen sie umschlagen ließ. Wenn sie Brutalität liebte, damit konnte ich dienen.
Ihr letzter Besuch bei mir – könnte ich ihn doch vergessen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie in der Absicht kam, sich mit mir zu versöhnen – gewiß nicht, um eine Tasche mit Sachen abzuholen, Zeug, das man kaufen konnte, »Sachen« besaßen für sie nicht den geringsten Wert. Nie hätte sie für ein irgendwo vergessenes Hemd auch nur einen Telephonhörer gehoben. Was bei dieser Begegnung geschah, will ich nur andeuten, das Tatsächliche vermag ich nicht auszusprechen. Man will von Sängern gehört haben, die Glasscheiben zum Zerspringen bringen, von Posaunen, die Mauern einstürzen lassen, von Glocken, deren Schall den Turm zerreißt. Mir muß so etwas vorgeschwebt haben: durch bloße Lautstärke und verdichtete akustische Wucht physische Schläge auszuteilen. Ich sehe Winnie noch erstarrt und blaß werden. Die Lippen verschwanden gänzlich. Jetzt war es an ihr, davonzulaufen. Sie tat es sehr langsam. Glaubte sie, daß ich versuchen würde, sie aufzuhalten? Aber ich stand ganz unter dem Einfluß meiner Wutdroge, völlig unerreichbar für Signale von außen. Die Tür fiel ins Schloß. Vor mir stand, von ihr unberührt, die Tasche mit den Sachen.
Neunundzwanzigstes Kapitel
Die Weisheit Ägyptens
Es gibt schlimme Prophezeiungen, unheilvorhersagende Weisträume, die tröstlich wirken, wenn das von ihnen Vorhergesagte dann tatsächlich eintrifft: Es hatte eben alles so kommen müssen, auch ein Klügerer hätte sich nicht gerettet. So hat mich ein Traum über meinen Geldverlust getröstet, der mich umwarf, dann aber auch wieder sein Gutes hatte, weil ich mich endlich nach der festen Anstellung umsah, für die ich mir bis dahin immer zu gut gewesen war – Angestellter sein, wie unelegant – und die ich, für mein Alter in letzter Minute, dann sogar fand. Aber zunächst kündigte sich Schwärze an, in einem Augenblick, da meine Hoffnung gespannt auf die Bestätigung wartete, die nach Wereschnikows Worten unmittelbar bevorstand, nach einem Telephonat mit Boutros Ghali in Paris im Grunde dieser Bestätigung auch gar nicht mehr bedurfte. Es sei alles in Butter, in trockenen Tüchern, es sei geritzt. Wereschnikow sprach für gewöhnlich ein schönes, ein sogar gepflegtes Deutsch und ließ solche Jargon-Einsprengsel dann besonders effektvoll aus der würdigen Suada hervorblitzen.
Meine Teilnahme am politischen Leben war mehr als oberflächlich. Ich wußte nicht einmal, wie Boutros Ghali aussah, hörte den Namen nur gelegentlich in den Nachrichten und hatte mitbekommen, daß er Ägypter sei – »mehr als Ägypter – Kopte«, sagte Wereschnikow, »das Pure de Pure Ägyptens, letztlich eine pharaonische Familie – numidisch reich«, das Wort war hier womöglich einmal nicht ganz unpassend, nordafrikanisch immerhin.
Aber im Traum wußte ich sofort, daß der kleine, braunhäutige, glatzköpfige, dickliche Mann, der mir halbnackt, mit dicken weißen Handtüchern umschlungen, im flachen Schlaf kurz vor dem Erwachen erschien, niemand anderes als Boutros Ghali war, und zwar weil er aufs Haar – bizarre Redewendung zur Beschreibung eines völlig haarlosen Menschen – dem holzgeschnitzten Schreiber aus der Chephren-Pyramide glich, mit seinem beinahe fünftausend Jahre alten Doppelkinn und Schmerbauch und seiner
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