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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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edelholzvertäfelten Wand explodierte still ein frühes Kandinsky-Aquarell, das er noch nie betrachtet hatte –, wäre am Ecktisch bei Merzinger gleichfalls unbekannt gewesen. Wenn er dort eintraf, war sein Eis bereits geschmolzen. Eine von jedem Hauch bewegbare Wäßrigkeit lag dann über seinen Zügen, die sich bald zu schüchterner Freundlichkeit entwickelten. Die Erinnerungen an die originellen und loyalen Freundschaften, die am Ecktisch blühten, erwärmten ihn. Frau Markies hatte eine hohe Barriere zu überwinden, um Doktor Glück klarzumachen, daß in ganz Frankfurt, ja weit darüber hinaus, in Deutschland, in Europa jedermann ein Fest, das im Hause Glück stattfinde, ausschließlich Herrn Doktor Glück zurechne – kein Mensch kenne einen Rotzoff –, sie hütete sich, von dem offensichtlichen Favoriten in der Gunst des Doktor Glück allzu verächtlich zu sprechen – überall wisse man, wer Doktor Glück sei, und nun gelte es, noch rechtzeitig die Weichen zu stellen, denn sie habe den Eindruck, daß Rotzoff, seinen zahlreichen Gaben zum Trotz, kein Organisationstalent besitze.
    Wäre Rotzoff von diesem Gespräch unterrichtet gewesen, das Staunen über seinen Stern hätte ihn überwältigen müssen. Hätte er eine höhere Instanz über sich erkannt, er wäre dankbar vor ihr in die Knie gesunken. Er hatte längst aufgegeben, sich weiter um sein Fest zu kümmern. Da war eine Lawine losgetreten, um die mochte sich sorgen, wer wollte. Merzinger war schließlich auch noch da, berufsmäßig mit der Bewirtung großer Menschenmengen vertraut, Glück troff das Geld aus Nase und Ohren, und apropos Geld: Das von Rotzoff Eingenommene war restlos verbraten, das schuf eine einfache, eine enorm übersichtliche Situation. Komplizierte Abrechnungen würde es nicht geben.
    Wenn er auf das Fest angesprochen wurde, antwortete er sibyllinisch: »Es fügt sich«, und genau das war es, worauf er vertraute. Es waren jetzt solche Menschenscharen aufgescheucht, daß auch ein Desaster letztlich noch als Erfolg würde verbucht werden können, wie der große Salzmarsch des Mahatma Gandhi denselben zwar ins Gefängnis, die indische Freiheitsbewegung aber ins ewige Reich der Legende überführt hatte. Eine unangenehme Sitzung mit Merzinger war allerdings nicht zu vermeiden gewesen, obwohl eine innere Stimme Rotzoff riet, das Aussprechen der Tatsachen werde das gesamte Unternehmen schwächen: Laufenlassen, abwarten, was geschah, wenn sich die festerwartende Masse vor dem Glückschen Gartentor staute, wenn die Absätze der Damen in dem moorigen Wiesengelände tief einsanken und wenn der ganze Gartendreck den puffigen rosa Teppichboden in der Wohnung endlich ruinierte. Warum alles zerreden? In Aktionismus verfallen? Ein paar Kisten Whisky, ein paar Fässer Bier, heiße Würstchen, von ihm aus – er aß so etwas nicht, hatte geradezu einen Ekel vor billiger Charcuterie, was da alles hineinkam! – damit wäre das Fest doch ins Laufen gebracht, was sollten da Kosten und Planung und der gesamte pseudoprofessionelle Blödsinn – Merzinger glaubte wohl, er wisse, was ein Fest sei, weil er mit seinen unterbezahlten Bangladeshis in der Küche sein Lokal, man wisse schon wie mäßig, über die Runden bekomme. Rotzoff verfügte über die weibliche Gabe, das Thema blitzschnell zu wechseln: Die Ratten in Merzingers Vorratskeller seien fett wie Meerschweinchen – er wisse schon, warum er hier nur noch trinke, was mit einem in seiner Gegenwart gezogenen Korken verpfropft gewesen sei! Dies war schon mit krakeeliger Schärfe ausgesprochen. Merzinger brütete krokodilshaft. Vor seinem inneren Auge malte sich die ganze Landschaft der von Rotzoff angerichteten Katastrophe. Ich halte Merzinger für einen hochintelligenten Menschen. Da war es wieder, sein geheimes Laster: zu genießen, betrogen zu werden – in einem kleinteuflischen Vergnügen, die arme Seele sich immer mehr verstricken zu sehen, bis sie sich schließlich selbst strangulierte.
    »Ich ziehe mich aus der Sache zurück, wenn ich kein Geld sehe.« Das war nicht drohend gesprochen, sondern träumerisch räsonnierend, als ob er seinem Kellner sage, er möge die Stühle hereinholen, sollte es regnen.
    »Das kannst du gar nicht«, Rotzoff blieb bei der groben Linie der Gesprächsführung.
    »Er zappelt, er ist in die Enge getrieben«, dachte Merzinger das wirklich?
    »Du stehst dick und fett auf den Billets.«
    »Willst du wissen, was ich kann?« Merzinger hob die schweren Lider ein klein

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