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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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wenig. Seine Augenfarbe war hellgrau, aber jetzt hätten gelbe Augen zu seinen Worten gepaßt. »Nein, mein Lieber, das willst du nicht.«
    Dort waren die beiden alten Kumpane angekommen, in einer Sackgasse. Hier heraus ging der Weg nur noch durch die Lüfte. Und genau da, zwei Tage später genaugenommen, geschah das Wunder – »Es fügte sich«, Rotzoff hatte wieder einmal recht behalten. Daß mit ihm nun gar nicht mehr weiter beraten wurde, nichts hätte ihm willkommener sein können. Die Markies nahm alles Weitere in ihre großen gepflegten Hände, von Doktor Glück mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet.
    Es war rührend zu sehen, mit welcher Behutsamkeit Glück diese Wendung der Dinge seinem Vertrauten Rotzoff nahebrachte. Ihm war es das wichtigste, den Erfinder des Festes keinesfalls zu kränken. Rotzoff lohnte ihm dieses Zartgefühl, indem er ihn nur mäßig ausschimpfte. Man sollte seine Attitüde eher ungnädig als beleidigt finden. Als erfahrener Public-Relations-Spezialist sei er natürlich nie glücklich, wenn ihm eine Idee weggenommen, wenn nicht geradezu geklaut werde – dies Fest sei samt Finanzierung im Grunde fix und fertig entwickelt gewesen. Glück steige da nun ein, übernehme die Chose, trage dann freilich auch die Verantwortung. Auf Merzingers erfahrenes Personal möge er da aber lieber weniger rechnen: Die Kellnerin Evi sei eine Freizeitprostituierte, der Kellner Kevin ihr Zuhälter, der von großzügigen Griffen in Merzingers Kasse lebe, Merzinger zu blöd, um etwas zu merken, wahrscheinlich auch krankhaft diesem Paar verfallen – wer wisse schon, was dahinterstecke. Registrieren werde das erst das Finanzamt.
    Doktor Glück war froh, so billig davongekommen zu sein. Wenn er in einer Konferenz zerstreut war, brach seinen referierenden Untergebenen der Schweiß aus, wobei zur Ehre Glücks gesagt werden muß, daß er das nicht wahrnahm, aber Rotzoff erfüllte ihn mit Liebe und Ehrfurcht. Warum? Da mag man lange in Tiefen und Untiefen der Seele stochern. Warum liebte Herr Orgon den Tartuffe? Warum liebte ich Winnie? Da fielen mir übrigens viele Antworten ein, immer mehr, seitdem sie tot war. Mir war, als hätte ich nie ein vollkommeneres Menschenkind gesehen – »Aber das nur nebenbei«, wie Wereschnikow gelegentlich nach wirklich gewichtigen Eröffnungen zu sagen pflegte.
    Doktor Glück konnte sich auf eine Vasallin stützen, die ihm die Herrschaft in seinem eigenen Haus auch im Ansturm der fremden Gäste sichern würde. Frau Markies garantierte ihm »hochkarätiges Publikum« – in ihrer Jugend hätte man in Gegenwart von Bankgrößen solchen Jargon nicht benutzen dürfen, jetzt taten die es selber. Aber Ivana wurde in die Planung einbezogen. Glück entschied, daß Ivana ihn bevollmächtigt vor dem Personal Merzingers vertreten werde. Die Oberaufsicht lag bei Merzinger, aber die organisatorische Schaltstelle zwischen Merzinger und dem Haus Glück, das sei Ivana.
    »Von mir aus«, sagte Rotzoff, »die bekommt eine Kiste Paprika und einen Tritt in den Hintern und ist glücklich.« Hier warb Glück ausnahmsweise einmal um mehr Respekt. Er litt oft darunter, daß sein Freund so häßlich über Frauen sprach, die für Glück ein Heiligtum darstellten, obwohl er akzeptierte, daß solch ein wilder, im Leben hartgeklopfter Mann wie Rotzoff das Recht hatte, schärfer und nackter auf die Welt zu blicken.
    Ivana nahm den Auftrag an, als ihr gerade zwei feste Stellen gekündigt worden waren: Bei Frau Breegen, mit dem bewußten silbernen Handschlag, zur Beschwerde gab es eigentlich wenig Anlaß, und dennoch wurmte sie dieser Abschied – genau das richtige Wort für einen Groll, der in den Eingeweiden hockt und daran nagt –, und bei Frau Colisée, die nach dem Tod Winnies in ein Pflegeheim eingeliefert wurde. Von der Seniorenpension Angelika war keine Rede mehr. Es stellte sich auch heraus, daß Winnies Mutter schon seit sieben Jahren tot war, unter »ungeklärten Umständen« in Ecuador umgekommen. Es gab keine Verwandten sonst, Frau Colisée hatte kein Testament gemacht. Ihre Wohnung wurde aufgelöst, wie das so schön chemisch heißt, von ihrem Archiv und ihren tausend schönen Siebensachen war jedenfalls nach kurzem nichts mehr da. Sie war entmündigt und lebte in einem erinnerungslosen Jetzt, das ihr ständig in alle Richtungen entglitt. Ivana hatte sie noch einmal besucht, in der Hoffnung auf ein Abschiedsgeschenk, warum soll man das beschönigen, aber Frau Colisée hatte sie nicht

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