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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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hatte ihr denn das kleine Kettchen bloß umgelegt? Sie verabscheute doch jeden Schmuck, diese lächerlichen mit Juwelen behängten Weiber, aber nicht minder den Modeschmuck aus Glas und Plastik, wie würdelos und peinlich war das alles. Sie hatte jetzt völlig vergessen, daß dies ein Kettchen von Winnie war, daß Winnie es sich vom Hals genommen und der Tante umgelegt hatte. Bei ihr hing es als feines Goldfädchen über die Brüste bis fast zum Nabel. Bei Tante Beate kam es gerade um den Hals herum; der Nacken verdrängte noch einmal unerwartet viel, mehr als das Kuheuter von Doppelkinn. Das Kettchen war eine von Winnies Spontanaktionen. Sie hatte, wie sie jedes Datum vergaß, Beate Colisées Geburtstag vergessen und machte es – immer gelang das! – durch ihre verschwenderisch wirkende Geste mehr als gut – nur daß der Tante das anmutige Geschenk bald nur noch lästig war, als krabbelten ihr Fliegen um den Hals. Am liebsten hätte sie sich das Kettchen abgerissen. Sie zerrte daran, es zwickte in der Haut, die Pediküre bohrte auch wieder gerade etwas Spitzes in den Zeh – ach, es war zum Verrücktwerden, zum Aus-der-Haut-fahren. Welch ein Schauspiel wäre das gewesen, wenn man der allzu beweglichen Seele der Colisée dabei hätte zuschauen dürfen, wie sie nicht nur den zerdehnten Hautsack, sondern den ganzen Haufen aus Fett und Knochen unter sich ließ und, sich befreiend, daraus hervorgeschossen wäre!
    Und im selben Augenblick, den Kopf hin- und herwerfend, fiel ihr Blick unversehens in die Küche, wo Ivana die Karaffe soeben vom Seifenwasser befreit und sorgfältig ausgespült hatte und sie jetzt zum Trocknen auf den Flaschenhals stellte, damit das Wasser drinnen schön sauber ablief. Ungefährlich sah das nicht aus, denn die Standfläche des Flaschenhalses war klein, und der Bauch aus geschliffenem Kristall wölbte sich ballonartig darüber, aber was sollte schon passieren, dachte sich Ivana zu Recht – niemand sonst hielt sich in der Küche auf – halt, eben kam der Elektriker und wollte sich über dem Spülbecken die Hände waschen, aber das war schnell geschehen, schon war er wieder fort – und sie selbst würde, der Gefahr bewußt, nie und nimmer gegen die Karaffe stoßen.
    Von Anfang an war um die Methode Streit entstanden, wie die Karaffe schnell und gründlich im Innern trocken zu bekommen sei. Frau Colisée hatte mehrfach sogar Anstalten gemacht, vom Bett herunterzusteigen, um in die Küche zu wanken. Sie hatte den Körper schon auf die Seite gewälzt, da klingelte das Telephon, wie es zuverlässig zu geschehen pflegte – die Apotheke, die Sprechstundenhilfe, der junge Mann, der Botendienste machte, die Seniorenpension Angelika. Gerade vormittags reihte sich ein Anruf an den anderen und zerriß den eben gesponnenen Gedächtnisfaden, pulverte Frau Colisée aber auch auf; das Telephonklingeln war purer Lebensstoff für sie, ein Kraftquell, ein Anstoß zum Weiterleben, ein Lebensschrittmacher schlechthin. Was Ivana sich nicht vorstellen konnte, war, daß Frau Colisée an dieser Karaffe, aus der sie ihren Whisky trank, so stark hing, wie sie überhaupt an etwas Irdischem noch hängen konnte. Diese hübsche Karaffe, dies Glasgeglitzer, das mit dem teebraunen Whisky im Bauch so reizvoll spielte, ihn so verführerisch und satt funkeln ließ, daß es beim Eingießen im Blitzen der Reflexe von der Nachttischlampe eine Freude war, die mußte sie unbedingt erhalten und in weiterem Gebrauch wissen. Es war eine unschuldige Liebe, kein unreifes Kleben an Materie, das lag wahrlich hinter ihr. Und deshalb hatte, was sie jetzt sah, etwas von einer überwirklichen Erscheinung: Dort stand die Karaffe, ihre Whisky-Kristallkaraffe, auf dem Flaschenhals, die Tropfen rannen in ihr zu Tal – was sie immer verboten hatte und jetzt im Anblick empörend widersinnig empfand – wer konnte so blöd sein, so etwas zu machen? –, und nun öffnete sich unter sanftem Winddruck allmählich das Fenster, die Flügel schwangen auseinander, ein frühlingshafter Hauch, blüten- und regenschwer wehte bis in ihr Schlafzimmer und traf auf ihre Nase und die hohen glatten Wangen, streichelnd wie Winnies Hände, und die Flügel öffneten sich weiter langsam und still, durchaus aufhaltsam.
    Aber da war keine Hand, und Frau Colisées Mund war in Panik versiegelt. Sie ächzte nur schwach, die Pediküre sah nicht einmal auf. Und dann traf der rechte Fensterflügel die Karaffe – leicht, er tippte sie eigentlich nur an, und die

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