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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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das war schon unverhüllte Bösartigkeit, was da aufblitzte. War er zu verwirrt, wohl auch schon gehörig abgefüllt, um dergleichen übelzunehmen? Seine ohnehin zerfahrene Miene war längst noch viel zerfahrener. Es sah geradezu aus, als machten sich die beiden Augen, die Nase und der Mund auf die Reise in verschiedene Richtungen. Wenn er betrunken war, so stellte ich mir vor, hätten ihn womöglich seine Kollegen aus der Bank nicht wiedererkannt. Vielleicht war seine Duldsamkeit aber auch darin begründet, daß die Herren, wenn sie ihm einzeln begegneten, von geradezu ausgesuchter Höflichkeit und Freundschaftlichkeit waren. Seine Stellung hatte sich herumgesprochen und gab zu allerhand Phantastereien Anlaß und zu der kopfschüttelnden Betrachtung, daß solch ein großes Tier, ein solcher »Tycoon« es nicht verschmähte, sich regelmäßig an Merzingers Ecktischchen mit teurem Rotwein vollaufen zu lassen – »ein ganz schlichter, einfacher Mann!«, als müßten Millionenbeweger ein gemmenbesetztes Einhorn auf der Stirn tragen und ihren Wein, wie einst der Papst in der Messe, durch ein goldenes Röhrchen einsaugen. Im übrigen wurde seine Position gar nicht sehr übertrieben gesehen. Die Herrschaften ahnten nicht, wie recht sie hatten. Aus Glück war da freilich Bestätigendes oder Abwiegelndes nicht herauszuholen. Er sah den eigenen Rang in Beziehung zu den wirklich, den überwältigend Gewaltigen und fand daran nichts Rühmenswertes.
    Besonders virtuos spielte Rotzoff auf beiden Klavieren. Er wußte sich im Tête-à-tête mit Doktor Glück als hochverständnisvoller, bewundernder Spezialfreund darzustellen; um so belfernder und gehässiger betrug er sich dann im größeren Kreis. Ich gestehe, Rotzoff nie gemocht zu haben – aber das ist zu einfach: Rotzoff ungut zu finden war keine Kunst, ihn für ebenso anziehend und ausgefallen zu halten noch viel weniger – es fällt mir schwer, es einzugestehen: Ich fürchtete mich vor Rotzoff und hielt es für unbedingt vermeidenswert, in sein Blickfeld zu geraten; ja, es war sein Blick, was ich am meisten fürchtete. Das hatte etwas geradezu Atavistisches, die Angst vorm Bösen Blick eben. Wen Rotzoff sich optisch einverleibte, dem stieß etwas Schlimmes oder mindestens Unangenehmes zu, davon war ich überzeugt.
    Der Mann kam aus der Werbung, und wenn man, diese fragwürdige Branche dämonisierend, gern von den »geheimen Verführern«, den teuflischen Kennern der seelischen Abgründe spricht, dann mußte Rotzoff ein genialer Werbemann sein, denn im Erahnen der verborgenen Schwäche seines jeweiligen Gegenübers war er groß, im Aufdecken und Breittreten seiner Ahnung freilich ebenfalls. Ob der Umstand, daß seine Karriere durchkreuzt worden war, mit dieser Unvorsichtigkeit, dieser Neigung zum bösartigen Herausplatzen mit dem Peinlichen zusammenhing oder ob ihm doch nicht so viel eingefallen war, wie es bei seiner schrankenlosen Gehässigkeit billig erwartet werden durfte, weiß ich nicht – ich war im Umgang mit ihm so abergläubisch, daß ich mich bemühte, nicht zu gut über ihn informiert zu sein, als gebe mich schon eine Information ihn betreffend in seine Gewalt. Werbeleute pflegten in Frankfurt damals einen ostentativ luxuriösen Konsum-Stil: Champagner-und-alte-Bordeaux-Saufen, dicke Zigarren, teure alte Sportwagen, das gehörte ganz einfach zum Erkennungszeichen. Die Klienten waren nüchtern, sparsam, gesundheitsbewußt, unauffällig, die Werbeleute arbeiteten hart an ihrem Ruf als bunte Hunde. Und Rotzoff machte da keine Ausnahme. Bei Merzinger ließ er nur die teuren Flaschen kommen, und er brachte es auch dann nicht fertig, das zurückzuschrauben und vielleicht nur noch einmal in der Woche an Merzingers Ecktischchen präsent zu sein, als er längst die Riesenwohnung aufgegeben hatte und das Auto weggepfändet war.
    Er gehörte zu den Rätseln, die Merzinger aufgab. Jetzt wäre es an der Zeit gewesen, Rotzoff aus dem Restaurant zu vertreiben als beständigen Störenfried des Ecktisch-Zirkels, als Schreihals und Schuldner, der nicht daran dachte, seinen Bierdeckel – so altertümlich wurde das dicke Bündel von Rechnungen genannt, das in der Schublade unter der Kasse schlummerte – endlich abzuzahlen, und angesprochen wurde Merzinger sogar darauf. Wie lange sollte Rotzoff dort noch lärmend und Rotwein in sich hineinschüttend und das Personal und die Gäste anfahrend herumhängen dürfen? Gab es nicht doch den Plan, den Mann demnächst vor die Tür

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