Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
zu setzen?
    »Natürlich nicht«, sagte Merzinger mit seinem schwimmenden Blick, der sich als Ausdruck verschlafen-kraftloser Gutmütigkeit oder verschlagenen Kalküls deuten ließ. »Den laß mer schön da.«
    Es schien geradezu, als habe sich zwischen dem indiskretesten aller Menschen und dem verschlossensten eine unauflösliche Kumpanei entwickelt.
    So war denn der Anblick der beiden an einem heißen Frühsommernachmittag, in dem zu dieser Stunde nur wenig besuchten Restaurant, ein Bild des tiefsten Friedens. Ich saß entfernt, wartend – Merzingers Restaurant war für unverbindliche Verabredungen sehr beliebt –, und sah, wie durch die weit geöffneten Fenster das Sonnenlicht grün-golden hereinflutete und die Räume geradezu festlich erfüllte. Die dicke Restaurantluft war weggeblasen, nur Blätterduft und Bienensummen standen im Raum, Vogelzwitschern ließ an Gärten und Blüten denken. Merzinger, der gute Wirt, lebte in seinem Restaurant. Jetzt saß er in Hemdsärmeln mit Rotzoff am Ecktisch. Die Herren probierten Weißwein aus den Langhe, bedächtig große Kelche schwenkend und die Nase hineinhaltend; ich habe schon gesagt, daß mir bei Rotzoff solches kennerhafte Prüfen wie das reine Affentheater vorkam, ich war davon überzeugt, daß er, bis zur letzten Zelle ausgefüllt mit Galle, gar nichts roch.
    Ewigkeitlich dehnten sich solche Sommernachmittagsstunden. Hier glaubte man, die schiere Lebenssubstanz mit Händen greifen zu können. Warum muß die Geschichte immer weitergehen, wenn solch ein hochbefriedigender Höhepunkt des Daseins einmal erklommen ist? Die Genreszene »Zwei weinprüfende Trinker in nachpfingstlichem Wirtshaus« war in Luft und Duft etwas Endgültiges – und ebenso kurz, wie alle historischen Endgültigkeiten und Stunden Null und Sternstunden nun einmal sind. Es war das Licht, die Strahlen selbst, die ihre Kraft verdoppelten und das paradiesische Innehalten der Zeit jäh mit einem Blick hinter die Kulissen der Alltäglichkeit verbanden.
    Die Sonne blendete jetzt. Sie spiegelte sich in einem sanft ihr entgegenschwingenden Fensterflügel und tauchte den Raum in weiß-goldenes Gleißen. In diesem Licht ging mit Rotzoff eine erschreckende Veränderung vor. Der verfettete Athlet mit dem mißfarbenen Haar verwandelte sich unversehens, als trete er in seiner eigentlichen Gestalt aus der Camouflage der Verkommenheit heraus. Das dicke farbschwache Haar – als Säugling war er blond gewesen – wurde metallisch, als sei Aluminiumstaub darauf geblasen, das fahl-teigige Gesicht – er wurde durch sein Saufen immer blasser, der viele Rotwein machte ihn nicht purpurn, sondern saugte alle Farbe ab – wurde dunkel, wurde gar schwärzlich, wie das eines kohlenstaubverschmierten Bergarbeiters, die Augen glitzerten unwirklich weiß, porzellanen – sah Merzinger nicht, welch ein Bote aus den Regionen der Finsternis da neben ihm saß? Oder war von seinem Platz aus dies Lichtschauspiel unsichtbar?
    Der Fensterflügel schwang zurück, die Lichtschleier wurden aus dem Saal herausgezogen, Rotzoff sank wieder in die weich verschönende Sonnenmilde – wer ihn eben nicht gesehen hatte, der mußte ihn für eine harmlose städtische Zimmerpflanze halten, die der Junitag unverhofft aufblühen ließ.
    Im übrigen täuschte der Anschein zeitloser Harmonie, oder besser, er täuschte nicht, denn die Bilder haben ihre eigene unumstößliche Wahrheit und können von der Sprache nie einfach widerlegt werden – es war in der Süße dieser sonnengesättigten Stunde eben nur leider von Unerfreulichem die Rede, und daß dies nicht expressiv und weithin hörbar geschah, das entsprach Merzingers Stil. Rotzoff hatte Anlaß, sich dieser Vorgabe zu beugen. Der undurchschaubare Merzinger war ohne weitere Vorbereitung und ohne erkennbaren Anlaß unversehens dahin gelangt, seinen besten Gast um Bezahlung der ausstehenden Posten zu bitten – ein grausamer Akt, in eine durchaus anspruchsvolle Weinprobe eingebettet, denn Merzinger wußte, wie es um Rotzoff bestellt war. Ihn zur Zahlung aufzufordern, hätte als einzige Folge, ihn des Lokals zu verweisen. Er habe eine Steuerprüfung gehabt – die Sachbearbeiterin, eine gnadenlose Bürokratin, glaube ihm nicht, daß es gegen Rotzoff nur Außenstände gebe. Sie wolle Geld sehen – er müsse überhaupt das Kreditieren aufgeben, »ich leg nur drauf«, das klang so elegisch, als spreche er von seiner eigenen Grablegung.
    In der von beständigem Vogelzwitschern bukolisch

Weitere Kostenlose Bücher