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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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beeindruckt zu haben. Es lag immer ein leicht schwimmendes, desorientiertes Lächeln auf seinem Gesicht. Die Augen blickten unergründlich, und er nahm den Teller mit den in der Friteuse zu fettiger Zähe geronnenen kalten Schnitzeln mit einem Schulterheben entgegen, als wolle er sagen: »Trist ist dies Schnitzel ohne Zweifel, aber es könnte noch viel schlechter werden und wird es vielleicht sogar, und ihr werdet euch freuen, daß ihr überhaupt eins bekommt.« In dieser milden spöttischen Indolenz lag wohl ein Teil seines Erfolgsgeheimnisses. Er holte gerade aus den Habitués mit solch scheinbarer Leidensbereitschaft die kecken und wilden Töne, ja die Unverschämtheiten heraus, mit denen sie sich voreinander brüsten und in ihrer Rolle als ungebärdige, originelle Kerle bestätigen konnten: originell, weil sie tagein, tagaus bei Merzinger saßen, sich von ihm aber nicht düpieren ließen, ihn durchschauten und maßregelten und dabei eine Steigerung ihres Lebensgefühls erfuhren. Eine Kernmannschaft unterstützte Merzinger in seiner Regie, ein Kreis von Männern, die zur Stammbesatzung des Lokals zählten. Für sie wurde ein kleiner Tisch neben der Eingangstür freigehalten, an den aber noch Stühle herangerückt werden konnten, dies war eben kein Stammtisch für breitärschige Hocker, sondern kaum mehr als ein Rastplatz für Zugvögel, auch wenn sie in den verborgenen Leimruten dann doch nächtelang hängenblieben, dabei stets in theatralischer Mobilität mit Aufstehen und Umherlaufen, was im einzelnen den Eindruck entstehen ließ, er sei nur ganz kurz, nur auf einen Schluck an dies Tischchen hinzugetreten. Das Personal war angewiesen, bei diesem Kreis überaus liberal abzurechnen. Da wurde nicht jedes Glas gezählt; manche zahlten einmal im Monat, wurden ruppig, wenn sie dann die Rechnung sahen, erklärten Merzinger für einen Balkanbetrüger – er stammte aus Niederösterreich –, dann blickte er sie mild und vielsagend an, schweigend immer, als wolle er sagen: »Vielleicht hab ich dir zuviel aufgeschrieben, vielleicht auch zuwenig, immerhin bist du im März mindestens zwanzig Mal betrunken hier hinausgeschwankt – wir tragen alle unser Lebensrisiko.«
    Überhaupt sein Schweigen. Es kann nicht genug gerühmt werden: Ein geselliges Schweigen, ein ermunterndes Schweigen, ein beredtes, witziges, gelegentlich gar dialektisch-philosophisches Schweigen – wer es nicht erlebt hat, glaubt es kaum, wie mitteilsam und anregend ein Mann sein kann, der den Mund hält. Er konnte freilich den Anschein erwecken, als habe er die Kontrolle verloren, wisse nicht, was er einnehme. Der Kreis um das Tischchen an der Tür erbaute sich an seinen angeblichen Steuerschulden. Der ganze Laden sei auf nichts als groteskem Betrug aufgebaut, aber die Fiskalschere schnappe bald zu, bald werde Merzingers Lebensfaden von den Ermittlungsbehörden durchschnitten. Zu später Stunde tobten die Debatten darüber, mit welchen Phantasiebeträgen Merzinger in der Kreide stehe. Sah er nicht, wie er da immer leicht geneigt, beflissen durch sein Restaurant schlurfte, geradezu aus wie ein Verurteilter auf Freigang, wie ein längst von den Mühlen des Gesetzes Erfaßter, zum Zermahlen Bestimmter, der mit Büßermiene sich noch der letzten Tage an der frischen Luft erfreut, aber das Stigma der Aktenkundigkeit schon auf der Stirne trägt?
    Zu dem Kreis der Stammgäste gehörte auch Doktor Glück, den man sich in solchen lärmenden Landsknechtshaufen so gar nicht vorstellen kann, der bei dem Geschrei auch nicht mittat und sich dabei sogar ein wenig unwohl fühlte. So jedenfalls sah er dann aus, wenn die Hauptkrakeeler die Stimmen hoben, regelrecht gequält, als schäme er sich, in solcher Gesellschaft gesehen zu werden – wobei er aber, als erfülle er damit eine vertragliche Pflicht, getreulich, wann immer es die Arbeit erlaubte, zu dem Merzinger-Zirkel hinzustieß. Gut empfangen wurde er dort nicht; auf ihn prasselten gelegentlich ähnliche Spottsalven wie auf Merzinger hernieder. Hinter seinem Rücken wurde an seiner Männlichkeit gezweifelt – er sei stockschwul, ach was, asexuell, eine Jungfrau auf jeden Fall, von peinlicher oder rührender – wie man aufgelegt war – Unerfahrenheit, er wisse selbst nicht, was er sei, und mehr in diesem Sinne –, und gelegentlich, wenn das Saufen vorangeschritten war, wartete man mit diesen Analysen nicht auf seinen Aufbruch, dann wurde er ganz ungeniert aufgezogen, und heiter ging es dabei nicht zu,

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