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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Verhältnisse oder als geradezu triumphierende Bestätigung einer von der Mutter ererbten Urkraft. Es war mir nie klar, wenn ich sie hörte: Bedauerte sie ihr Leben, wünschte sie sich ein anderes, verfluchte sie die Verhältnisse, aus denen sie stammte, oder stimmte sie ihnen zutiefst zu, als seien gerade dies die Bedingungen, die den Menschen am allerbesten bekamen? Dies Gespaltensein gehörte zu ihr, die mit ihrer Ausdrucksfähigkeit und ihrer Ausdruckslust so vieles farbig schildern konnte und doch oft nicht deutlich machte, wie sie eigentlich zu dem Erlebten stand.
    Und so war es auch mit ihrer Haltung zu Frau Breegen: Sie verabscheute die große schwere Frau, die durch ihren anmutlosen Körper den pedantischen Kontrollmaßnahmen eine überwalzende Massivität gab. Sie konnte Frau Breegen mit Blicken von stechendem Haß bedenken, wenn die gerade einmal wegsah. Trafen sich ihre Augen, lag in denen Ivanas stumpfe Teilnahmslosigkeit; nie erwiderte sie das geschäftsmäßige Lächeln von Frau Breegen, das nun wirklich von oben herab kam. War sie nur einen Kopf größer als Ivana und Herr Breegen, oder überragte sie die beiden nicht doch turmhoch? Und dann wieder bestaunte Ivana ihre »Chefin«, wie Frau Breegen von den Hilfskräften genannt wurde, schier rückhaltlos. Nach Bosnien am Telephon berichtete sie von ihr wie von einem fleisch-und-blut-gewordenen Niederwalddenkmal. Diese Tüchtigkeit! Das war Putzen. Von diesem Putzen konnte die Welt lernen. Auch Ivana, die freilich nicht so weit ging, andernorts, wo ja allein schon das Putzinstrumentarium gar nicht vorhanden war, die bei Frau Breegen erworbenen Methoden der restlosen Staub-Patina-Belag-Niederschlag-Vernichtung nachzuahmen. Aber sie wußte nun, wie es ging, und sie zog ihre wirtschaftlichen und politischen Schlüsse aus dieser Erfahrung: Hier offenbarte sich eine so ungeheure Überlegenheit, daß die bloße Vorstellung, irgendein anderes Land in Europa könne Deutschland das Wasser reichen, schon gar auf dem Balkan, sie höhnisch auflachen ließ.
    Was sie nicht wußte, war, daß ein starkes, unvergessenes Erlebnis Frau Breegens immer schon ausgeprägten Reinigungseifer auf seine aktuelle Höhe gehoben hatte. Dieses Büro mit seinen fünf Schreibtischen und seinem großen Konferenzzimmer, seinem Archiv und dem von einem Riesengemälde im Stil Rothkos geschmückten Arbeitszimmer Breegens hatte sie in der dunkelsten Zeit ihres Lebens versiegelt und sequestriert gesehen. Im eigenen Haus, welches das eigene womöglich gar nicht mehr war, gingen Kriminal- und Steuerbeamte ein und aus, trugen pralle Taschen voller Papiere hinaus, öffneten alle Schubladen und bedrängten Herrn Breegen in stundenlangen Verhören, und inzwischen mußten die Anwälte bezahlt werden, und das schöne weiße Mercedes-Coupé mit den roten Ledersitzen rollte aus der Garage. Sie hatte nicht vergessen, daß es, nun, da es abgeholt wurde, mit seinen drei Jahren, die bei dem bestens gepflegten Wagen gar kein Alter waren, unversehens schäbig ausgesehen hatte, wie selbst mannshohe Chinavasen, sowie sie auf einer Konkursversteigerung feilgeboten werden, etwas Billiges bekommen. Diese Bilder erfüllten sie immer noch, auch der Abend, als der Juwelier kam und für das, was Maruschas Freundin Kasia »eine Schubkarre voll untragbarem Schmuck« genannt hätte, ein Bruchteil davon bot, was das Zeug bei ihm selbst gekostet hatte, offenbar ohne das mindeste Gefühl der Scham. Die Radikalputzkuren waren seitdem erst recht ihr Bedürfnis geworden, eine energische Überwindung der Beschmutzung ihres inneren Raums durch die Gemeinheit der Welt, ihr Teil an Breegens staunenswerter Leistung, nach wenigen Jahren des Paria-Seins – immerhin waren sie zwei Parias gewesen, auch dies Erlebnis hatte sich ihnen eingeprägt – besser dazustehen als zuvor. Da durfte der Juwelier darüber nachdenken, ob er tatsächlich an jenem bewußten Abend ein so erfahrener Geschäftsmann gewesen war, wie er es damals glaubte.
    Ihr konnte nicht genug Betrieb im Haus sein, seit der Erfahrung der schrecklichen Stille. Jetzt im hinteren Garten wurde der Rasen vertikutiert, drei Männer waren dort beschäftigt, einen fußballstadionwürdigen Smaragdteppich entstehen zu lassen. Ivana saugte mit dem Spezialsauger und seiner unbezwinglichen Saugkraft heulend im Obergeschoß, während Frau Breegen nackt im Keller auf der Massagebank lag, den coiffierten Kopf sinnreich mit Kissen abgestützt und den Händen, aber auch der

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