Das Blutbuchenfest
Stimme ihm zuraunte, einfach ganz schnell aus dem Zimmer zu gehen.
Dem Rat des Masseurs, nach der Massage gründlich zu ruhen, konnte Frau Breegen an diesem Samstag nicht entsprechen. Nach kurzem Hin und Her fand der Masseur es dann auch nicht mehr so »wichtig«. Aber ohne seine ausdrückliche Absolution hätte sie sich schlecht gefühlt. Nichts Schummriges regte sich in ihr, wenn der Mann ihre großen Hinterbacken walkte. Glaubwürdig versicherte sie gelegentlich, der Masseur sei für sie sächlicher Natur, aber das hieß nicht, daß seine Stimme kein Gewicht gehabt hätte, im Gegenteil. Was der männliche Herr Breegen ihr anriet, schob sie dagegen bedenkenlos beiseite.
Sie könne heute nicht mitputzen, hatte sie schon früh wissen lassen, aber sie halte dafür eine schöne Überraschung für Ivana bereit. Sie werde ihr das Kleid zeigen, das sie zum Ball des Sports tragen werde. Es dürfte kaum etwas gegeben haben, worauf Ivana weniger neugierig war. Sie schaute nicht verträumt in soziale Sphären, die ihr übergeordnet waren. Das waren Verhältnisse, mit denen sie so wenig verband, daß es sich nicht lohnte, von deren Gebräuchen zu erfahren. Nun erschien Frau Breegen umgezogen, aber noch nicht geschminkt, auf der Schwelle. Ihr Mann, der, nachdem er schon mehrfach, ohne einer Entscheidung näherzukommen, über Ivanas straff gespannte Staubsaugerschnur gestiegen war, wich vor der Erscheinung im Türrahmen zurück. Ein weites Gewand, über und über mit blauen Glasperlen bestickt, gab Frau Breegen die majestätische Silhouette einer Opernsängerin kurz nach dem Gipfel ihres Ruhms. Es war ein Kleid von beträchtlichem Gewicht, nur eine starke Frau konnte es tragen. Wenn sie sich bewegte, rieben die Glasperlchen sich aneinander und verzauberten die Geschmückte durch ein feines singendes Knirschen. Frau Breegen hatte keine Freundinnen, und sosehr es sie drängte, auf den Ball des Sports zu gehen, wußte sie doch, daß sie dort kaum einem vertrauten Gesicht begegnen würde. Herr Breegen kannte zwar eine Menge Leute, aber er stellte sie nicht vor, das Gesellschaftliche lag ihm nicht. Sie erwartete in dieser Hinsicht auch nichts mehr. Sich Ivana zu zeigen war ihr deshalb ein ernstes Anliegen. Sie machte sich aber gewiß kaum klar, daß dieser Augenblick der für sie wohl wichtigste des Abends war. Ein eigentümlicher Lichtzauber trug dazu bei, ihre Wirkung zu erhöhen: Der Raum lag im Dämmer, hinter Frau Breegen brannte eine starke Birne, die ihren Körper zunächst nur als mächtige Silhouette erscheinen ließ, aber die weiße Hemdbrust ihres Mannes warf einen schwachen, mondhaften Reflex auf ihr Gesicht, das dadurch ganz weich im Schatten beleuchtet war. Innerlich und äußerlich erhoben, ging eine seltene Herzlichkeit von Frau Breegen aus. Sie sonnte sich in ihrer Pracht, aber das sollte nicht bei einem Selbstgefallen bleiben, die Pracht sollte auf die anderen wärmend ausstrahlen.
»Wir bringen Ivana auf dem Weg nach Wiesbaden nach Hause«, sagte sie. Das war ein gefaßter Entschluß, Herr Breegen mußte dazu nicht mehr gehört werden.
»Das Kleid ist von Frau Colisée«, sagte Ivana, eigentlich gegen ihre Absicht. Sie hatte sich in eine Konversation harmloser Art nicht hineinziehen lassen wollen, das Drama sollte nicht einfach in eine Posse übergehen. Tatsächlich hatte Beate Colisée vor dreißig Jahren in einer Phase der Ausgebranntheit ihre Zuflucht in solchen Prunksäcken gesucht, obwohl sie doch eigentlich für ihre Schnitte berühmt war. In ihrem Archivzimmer waren Photos von der Modenschau damals an die Wand geheftet. Dort hatte Ivana sie gesehen. Frau Breegen schwankte zwischen Verblüffung und hoheitsvoller Ironie: Ivana kenne sich ja aus – woher wisse sie denn sowas? Colisée gebe es nicht mehr, fuhr sie lehrhaft fort, aber eine Nachfolgerin, die tatsächlich die Linie weiterführe. Hätte sie sich mit Ivana noch ein wenig mehr befaßt, dann wäre auch herausgekommen, woher die Putzfrau Colisée-Entwürfe kannte, aber so weit reichte Frau Breegens Anteilnahme nicht. Sie war wie berauscht und sprach und sprach, bewegte sich und ließ die Kügelchen knirschen. Wie es wohl sein müßte, auf diesem Kleid zu sitzen?
»Siehst du«, sagte sie jetzt zu ihrem Mann, »damit hast du auch nicht gerechnet: Zwei schöne Frauen darfst du spazierenfahren – du kannst dir aussuchen, mit wem du auf den Ball gehst – mit mir oder mit unserer süßen Ivana.«
Ivana hatte die Ablenkung von ihrer großen
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