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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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überkamen, wenn er von seinen Damen sprach, noch im nachhinein sichtbare Wonneschauer, die ihn am Weitersprechen hinderten. Seine gegenwärtige Freundin war so schön, daß ich von ihr kaum die Augen lassen konnte, vielleicht etwas zu groß, ihn um einen halben Kopf überragend, sehr schlank, mit dickem, schwerfallendem, langem Haar, das sie in Lockenschlangen umrahmte. Das Mädchen war sich in unschuldiger Weise seiner Schönheit bewußt. Die Schönheit war eine wie ihr von anderswoher aufgeladene Last. Sie blickte lieb und etwas verwundert über diese Mitgift. Damals waren die Röcke kurz, ihrer noch kürzer womöglich, gern mit großen schwarz-weißen Wollkaros gemustert, sie ging nach Art der Großgewachsenen leicht gebeugt, vielleicht auch nur, um dadurch das Röckchen etwas länger wirken zu lassen. Unaufhörlich hatte sie in ihrer großen Tasche zu kramen. Dahinein war eine Menge leise klapperndes Zeug geschüttet, es war, als durchpflüge sie einen Sack Walnüsse, aber wenn sie sich dann aufrichtete und in amüsierter Verzweiflung um sich sah, stellte sie das zarte, ebenmäßige Gesicht zwischen den Lockenschlangen nach allen Richtungen aus, als habe sie einer Zeigepflicht zu genügen – wie Schloßbesitzer, die Geld vom Staat bekommen, ihre Sammlungen der Öffentlichkeit präsentieren müssen –, aber sie war kein bißchen blasiert durch die allgemeine kaum verhohlene Bewunderung, sondern blieb lieb und menschen- und insbesondere männerfreundlich, und das war, so wollte sich mir das darstellen, nicht zuletzt ein Zeichen ungewöhnlicher Tapferkeit. Zu große Schönheit, Schönheit, die zum Gaffen oder zum Wegsehen zwang, konnte eine ähnliche Peinlichkeit und Beklommenheit erzeugen wie wild abstoßende Häßlichkeit oder Schamlosigkeit. Es war, als registriere sie genau, daß manche Leute vor ihr die Augen niederschlugen oder haarscharf an ihr vorbeisahen. Es gab Gelegenheiten, da war sie für mich wie eine Angeklagte, die sich ihrer Schuld bewußt ist und sagt: Ich leugne nicht.
    Und es ist ja auch wirklich so, und da lag Rotzoffs Freundin gar nicht falsch, daß die allzu Demütigen und Gefügigen ihren Anteil an der Schuld der Frechen und Hochfahrenden haben, denen sie es leichtmachen, auf anderen herumzutrampeln. So eindringlich stand mir dies Mädchen vor Augen – hieß sie nun Lena oder Ingrid oder Birgit, es war etwas Nordisches, ihre Unschuld hatte etwas von nordischer Offenheit und Einfachheit, gegen sie waren wir in Frankfurt schon südländische Machiavellisten –, daß mir der Fortgang der Unterhaltung der Herren entgangen war. Aber Rotzoff war seinem Ziel inzwischen näher gerückt. Merzinger wiegte den Kopf und dachte nach.
    »Hundertfünfzig Mark Eintritt ist zuviel«, sagte er schläfrig, »das zahlen die nicht« – wer waren »die«, hatte ich doch mehr verpaßt?
    »Hundertfünfzig ist der absolute Gipfel. Aber man könnte eine Whisky-Bar machen, die im Eintritt nicht inbegriffen ist …«
    Das kam schon wie geträumt. Rotzoff erkannte, daß der Fisch am Haken war, und fiel falsch begeistert ein: Klar, über die Whisky-Bar könne man noch groß abgreifen, da hole man was raus, Merzinger habe verstanden. Der Wirt war offenbar wirklich bereit, seine Forderungen erst einmal ruhen zu lassen und Rotzoffs Ergebnisse abzuwarten. Ich staunte wie über ein Naturwunder.
    Rotzoff hielt es aber für richtig, jetzt schnell Merzingers Dunstkreis zu entkommen. Heute abend würde er eintreten, als sei nichts geschehen, er würde sich Wein kommen lassen und das Personal anpfeifen, Doktor Glück verhöhnen und spät mit Ingrid oder Lena telephonieren, die schon einige Stunden bereitstand und mürbgewartet war. Wenn er schließlich bei ihr eintraf, würde er die schiere Dankbarkeit ernten, als sei er aus dem Felde zurückgekehrt. Draußen setzte er seinen Schutzhelm auf. Als er sich zu seinem Motorrad herunterbeugte, fing die silberne Schale plötzlich von irgendwoher ein rotes Lichtpünktchen auf – von der Warnlampe der Baustelle gegenüber? von der Ampel an der Kreuzung? –, aber weil diese Quelle mir unsichtbar war, sah es aus, als sei es der Helm selbst, der dies rote Funkeln hervorbrachte, ein kaltes Feuer, das seinen Kopf umgab, ohne ihn zu verbrennen.

Elftes Kapitel
    Schön sauber
    Maruscha hatte Breegens Haus bisher nicht betreten dürfen, aber sie kannte die Adresse und lenkte Wereschnikow bei einem Abendspaziergang in diese Richtung. Das Haus lag in einer Straße mit mäßig großen

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