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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Wereschnikow machte sie sich übrigens viel weniger Gedanken, als hätte sein gelegentliches Feilschen um ihren Lohn ihm ein geringeres Gewicht verliehen. Bemerkenswert dennoch, daß Maruscha sich in vollständiger Sicherheit wiegen durfte. Das hatte nicht der geringsten Verabredung bedurft; hier genügte ein Blick aus ihren kühl-zärtlichen grauen Augen, und Ivanas Mund war, sagen wir: jedenfalls behelfsmäßig und vorläufig – versiegelt. Was den inneren Erregungszustand freilich nicht beruhigen konnte. Das Haus Breegen betreten, dort die fachmännische Staubsaugerei beginnen und dabei so zu tun, als sei nichts geschehen, das war schwer, wenn nicht unerträglich.
    Herrn Breegen schien es nicht anders zu gehen. Wenn das Büro geputzt wurde, machte er sich verständlicherweise davon. Aus seinem Arbeitszimmer verschwand er spätestens, wenn das Sauggeheul seine Schwelle erreicht hatte. Jetzt blieb er in der Nähe, suchte etwas in einem Aktenschrank, blätterte stehend etwas durch, ging unentschlossen auf und ab, trat auf Ivana zu und wieder von ihr weg. Auch dem unbelasteten Zuschauer hätte es allmählich scheinen müssen, als nehme hier jemand wiederholt Anlauf zu einem Wort oder einer Tat, überlege es sich dann aber und lasse davon ab.
    Frau Breegen war gegenwärtig im Keller gefangen. Die Hände des Masseurs hielten sie im Griff – »Das ist wichtig!« –, wenn der Mann geahnt hätte, wie wichtig es tatsächlich war, diese tätige Frau gelegentlich ruhigzustellen! Ivana sah Herrn Breegen so schmallippig an, wie es selbst für ihren Mund noch eine Steigerung bedeutete – Steigerung der Nichtexistenz weicher, warmdurchbluteter Kußpolster. Daß sie besaß, was Wereschnikow oder ich einen »guten Kopf« nannten, war Herrn Breegen unsichtbar. Die gesamte Kategorie »guter Kopf« war ihm verschlossen. Er sah jetzt nur die Ablehnung. Er selbst machte aber auch ein bockiges Gesicht, die allgemein immer vorhandene Unzugänglichkeit noch steigernd, und bot keinerlei Ansatzpunkt für Ivana als nur die ungewöhnliche Gegenwart, das Ausharren in ihrer Nähe. Er lief ihr, wie eine Frankfurterin gesagt hätte, »zwischen den Füßen herum«.
    Ja, wollte er gar Vorwürfe machen? Was dachte der Mann sich, wovon Ivana lebte? Gewiß nicht vom einmal wöchentlichen Putzen im Büro Breegen – wenn er nicht wünschte, daß sie auch woanders arbeitete, mußte er sie eben ganz einstellen, eine schlimme Vision, die ganze Woche unter Frau Breegens Fuchtel. Herr Breegen fragte sich inzwischen, wieviel Geld er ihr anzubieten hätte und ob es klug war, überhaupt etwas anzubieten. Machte er damit die Sache nicht zu wichtig? Begab er sich damit nicht ganz in ihre Hand? Würde sie der Versuchung widerstehen, in einer Woche einen Nachschlag zu fordern? Es ging ihm nicht ums Geld, sondern um das Entstehen einer nicht mehr beherrschbaren Situation. Die Spannung zwischen ihnen wuchs.
    Es war Ivana jetzt klar, daß er auf seine Befreiung aus dem Schrank zu sprechen kommen wollte. Und auch sie wollte darüber sprechen. Sie platzte vor Begierde, endlich ausführlich darüber zu sprechen, und was das Ziel dieses Ausbruchs sein sollte, das war dabei ganz nebensächlich: Geld erst einmal nicht, wenn Breegen jetzt Geld geboten hätte, die Brieftasche gezückt und ein paar Scheine daraus hervorgeblättert, das hätte durchaus schiefgehen können, wenngleich aus anderen Gründen als den von ihm befürchteten. Wie wenig war in Ivana etwas von einer Erpresserin! Es war nicht einmal moralischer Abscheu, was sie von solchen Gedanken abhielt, als vielmehr ihr Temperament. Ein Wissen wie eine Ware verwalten, wie ein Wertpapier, das man gelegentlich vorlegt, um die abgemessenen Interessen dafür einzustreichen, das war ihr unvorstellbar. Verwaltet werden sollte gar nichts, ausgesprochen alles. Der Moment, als sie den Schrank öffnete und sah, was sie nie vermutet hatte, der mußte Sprache werden dürfen. Unausgesprochen würgte sie das Wissen. Von Herrn Breegen wurde jetzt etwas erwartet, wozu er einfach nicht imstande war: nicht gegenüber seiner Frau, nicht mit Maruscha, nicht mit der Putzfrau, die die gefährliche Eigenschaft besaß, aufzutauchen, wo sie nicht vermutet wurde. Wäre nicht seine Frau im Spiel gewesen, er hätte auf diese hilflose Anpirscherei verzichtet.
    »Ich bin ein Idiot«, dachte er, »sie hat längst begriffen, daß ich etwas von ihr will«, aber den Mund bekam er dennoch nicht auf. Und die Beine versagten, als seine innere

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