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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Konversation des Masseurs hingegeben.
    »Wenn ich den Kopf nach links drehe, habe ich in der Schulter so ein komisches Ziehen«, sagte Frau Breegen aus der Entspannung heraus. Das ferne Staubsaugerheulen war ihr wie ein Sturmbrausen über dem Atlantik, ein Ferienstimmung erzeugendes Geräusch. Der Masseur tastete an der angegebenen Stelle ganz sanft und katzenpfotig. Er fand unter seinen sensiblen Fingerbeeren eine kleine Verdickung und drückte etwas fester.
    »Au«, sagte Frau Breegen, aber gleichfalls sanft. Es tat schön weh, das mußte sein.
    »Da müssen wir ran«, sagte der Masseur, »das ist wichtig.«
    Wie liebte sie sein »Das ist wichtig« – wie gut es tat, daß alles, was dem körperlichen Wohlbefinden diente, »wichtig« sein sollte. Andere mochten Kriege führen, sie durfte in einer Welt leben, wo es nichts Wichtigeres gab, als beim Drehen des Kopfes ein komisches Gefühl zu haben, und sie war dankbar dafür.
    »Sind Sie ganz entspannt?« fragte der Masseur. War sie wirklich ganz entspannt, konnte man nicht immer noch ein klein bißchen entspannter sein?
    »Ich weiß nicht …«
    »Das ist wichtig«, sagte der Masseur, »die Entspannung ist wichtig.«
    »Das sagen Sie so einfach«, sagte Frau Breegen aus wohliger Schläfrigkeit heraus.
    Wäre Entspannung auch für Ivana wichtig gewesen? Sie war in düsterer Verfassung am Werk, aber es war nicht der Bauch, der sie bedrückte, obwohl sie sich öfter aufrichten und verschnaufen mußte. Sie hatte gegen ihre Schwangerschaft nichts einzuwenden. Sie trat damit in die Reihe ihrer Mutter und Großmutter ein, die auf ihre Schwangerschaften auch keine weiteren Gedanken verschwendet hatten – mit größerem Recht allerdings, denn sie wußten, daß sie sich um das in ihnen wachsende Kind später nicht weiter würden kümmern müssen –, solange es klein war, würde es von den größeren Kindern bewacht und erzogen, und spätestens mit vier, fünf war es eine willkommene und auch erwartete weitere Arbeitskraft. Das würde in Frankfurt etwas anders aussehen. Was machte man mit einem Kind? Das beste wäre vermutlich, es gleich nach Bosnien abzugeben.
    Aber das waren nicht die Gedanken, die Ivana beim gründlichen Staubsaugen erfüllten. In ihr Verhältnis zu Herrn und Frau Breegen war etwas Neues eingetreten, seitdem sie Herrn Breegen im Wandschrank Maruschas zwischen den Mänteln entdeckt hatte. Sie war auf ein Geheimnis gestoßen, das sie mit Maruscha, die sie doch gar nicht lange kannte, eng verband, das sie aber, wenn sie an ihre alte Kundschaft Wereschnikow und Frau Breegen dachte, belastete und erregte.
    Welch unvergeßlicher Augenblick! Dies Öffnen der Schranktür! Und niemand, mit dem sie darüber sprechen konnte. Stipo war viel zu dickfellig, um das tief Ergreifende, ja Erschütternde dieses Augenblicks zu begreifen. Eine andere Welt hatte sich aufgetan. Ein Blick hinter die Kulissen war gelungen, und damit waren die Kulissen in ihrer Kulissenhaftigkeit erst wahrhaft erkannt. Sie hätte es nie so genannt, aber es war Magie, was sie empfunden hatte: dies geräuschlose Öffnen einer Tür, die nur ein kleiner Magnet geschlossen hielt, und dahinter eine neue, die eigentliche Wirklichkeit. Dies sprengte beinahe ihre Brust, der Bauch war eine zu vernachlässigende Last dagegen. Und wenn sie schon seit einer Woche an dies Ergebnis denken mußte – sehr tief saß die Erinnerung an ihren Schrei, das, was aus ihr selbst hervorbrach, beschäftigte sie stets viel nachhaltiger als äußere Eindrücke –, was war das erst, als sie nun wieder in Herrn Breegens Haus eintrat und sich auf eine Wiederbegegnung gefaßt machen mußte!
    Sie hatte ihn schon gesehen, von hinten. Er rauchte eine lange Zigarre und saß in einem Sessel, vor sich die Zeitung, in der statuenhaften Unbewegtheit, die ihm eigen war. Breegen vermittelte seinen Mitmenschen den Eindruck, man könne eine Kanone neben ihm abschießen, ohne daß er zuckte. Diese Eigenschaft hatte sich während der Vergleichsverhandlungen aufs höchste bewährt. Niemand durfte sich rühmen, Herrn Breegen in die Karten geschaut zu haben.
    Niemand außer Ivana, und das senkte eine Zentnerlast auf ihre Schultern. Es war keineswegs eine unbedingte weibliche Solidarität, was sie auf Frau Breegens Seite gezwungen hätte, als vielmehr die der Erniedrigten und Beleidigten – weniger, daß Breegen sie betrog, als daß er ohne Schuhe in einem Schrank versteckt war, setzte die Ehefrau eines solchen Mannes herab. Um

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