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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Villen, wie man hier wohl sagte, es waren aber ziemlich einfache zweistöckige Häuser, die machten nichts her und waren noch stark in einer sparsamen, schönheitsunwilligen Nachkriegsästhetik verwurzelt, obwohl sie überwiegend in den siebziger Jahren entstanden waren. Nur die Lage war teuer, geradezu unsinnig teuer angesichts des Gebotenen, aber das war für Frankfurt bezeichnend. Leute, die in Paris auf herrschaftlichen Etagen gewohnt hatten, zogen in Frankfurt widerspruchslos in solche Häuser und fühlten sich noch gut bedient. Wereschnikow hörte nicht auf, die Lächerlichkeit und Ärmlichkeit dieses »gehobenen Wohnquartiers«, wie es in der Maklersprache hieß, mit immer lauter werdender Stimme zu verkünden. Für Maruscha war solch ein Weg mit ihrem Freund ein ambivalentes Vergnügen. Einerseits genoß sie es, wie er schallend verachtete, was die besseren Leute von Frankfurt für höchstes Lebensglück hielten, und fühlte sich an seiner Seite erhoben; sie erkannte in ihm einen verwandten Geist ihrer Lehrmeisterin und Lebensfreundin Kasia und wußte von daher, daß Wereschnikow richtiglag in seinen herablassenden Urteilen, Kasia hätte ihm zugestimmt und allenfalls gebeten, er solle nicht so herumbrüllen, sie sei nicht taub; dabei hörte sie wirklich nicht gut; aber sie verabscheute die Miene, die ein brüllender Mensch macht, und fand es ohnehin klug, ihrer Umgebung gelegentlich einen Dämpfer zu verpassen. Nur, wohin war sie mit ihrer Souveränität und Freiheit schließlich geraten? In den Rollstuhl, in das Sechsbettzimmer des scheußlichsten Asyls von Lublin. Sie bewahrte ihre Moral, ohne Frage, aber die brauchte sie dort auch.
    Mit Wereschnikow war es dasselbe. Wohin führte es ihn, daß er diese Reiche-Leute-Häuschen-Straße so trefflich schmähen konnte? Mit seinen großen und beeindruckenden Projekten, mit Weltkonferenzen über die Würde und anderen Prachtunternehmungen von höchstem Prestige lebte er doch immer nur von der Hand in den Mund, und die Bewohner dieser Häuser taten das nicht. Diese Häuser in ihrer unbestreitbaren Mickrigkeit standen für eine unfaßbare Summe Geld. Wer das nicht wußte und mitempfand, der war einfach ein Träumer. Die Menschheit hatte eben eine gewisse Zeit gebraucht, um zu verstehen, daß ein Fetzen Papier, mit den richtigen Bildchen und Zahlen bedruckt, ebensoviel wert sein konnte wie eine lebendige, Mensch und Tier köstlich ernährende Kuh, und daß gar ein paar über einen Bildschirm huschende Zahlen das Äquivalent der Wirtschaftsleistung ganzer Nationen darstellten. Gegen faktische Übermacht, die Gegenwart des großen, Fülle und Sicherheit spendenden Reichtums anzustänkern kam Maruscha geradezu gotteslästerlich vor – nichts war so unreif wie die Verachtung von Geld, wenn man selbst keins hatte.
    Und dabei wäre es ihr auch nicht unrecht gewesen, wenn Herr Breegen gerade jetzt das Haus verlassen hätte – wenn sich, genauer gesagt, vor Herrn Breegen wie von Geisterhand das Garagentor auftäte, wenn er daraufhin mit seinem schwarzen Auto durch die gleichfalls unsichtbar bewegten Torflügel seiner Einfahrt glitt und wenn dann sein Blick auf Maruscha, die männlich begleitet durch seine Straße promenierte, fiele – es täte ihm nur gut, sich gelegentlich daran zu erinnern, daß sie die Abende, an denen er keine Zeit für sie hatte, nicht leise weinend allein auf ihrem Bett saß. Aber wenn Wereschnikow in einem solchen Augenblick schon wieder gestikulierte und mit Stentorstimme sprach? Sah das nicht aus, als begleite sie einen Mann, der nicht ganz bei sich war? Und gerade Breegens Haus hatte er ausersehen, um sich weidlich lustig zu machen.
    »Es sagt etwas über unsere Zeit – es sagt vielmehr alles über unsere Zeit, daß ich mit meinem ganzen Lebenswerk, der ganzen Fülle meiner Beziehungen, allem, was ich gedacht und geschrieben habe« – das waren Formeln, denen Maruscha mit Respekt gelauscht hätte, wären sie nicht in der stillen Villenstraße ausgerechnet vor Breegens Haus gedröhnt worden –, »daß ich mit all dem nicht Unbeachtlichen, das ich auf die Matte bringe, niemals in der Lage wäre, in dieser Stadt eine solch erbärmliche Hütte zu bezahlen – sieh mal dies scheußliche Blumenfenster, sieh mal dies schmiedeeiserne Garagentor, diese Douglasfichte, diesen japanischen Bambus, sieh mal diese kupfergehämmerte Haustür – und das alles ist kameraüberwacht, damit niemand die Briefmarkensammlung und den weißen Nerz der Hausfrau

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