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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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zu langsam, und sie wollte mit mir sprechen, sie war ungeduldig. Als erstes müsse ich die zerrissene Hose ausziehen. Sie helfe mir, das war jetzt vordringlich. Sie zog mir die Schuhe aus, die bei dem Sturz auch gelitten hatten und eine Ladung Schuhcreme brauchen würden, und dann sah sie mich erwartungsvoll an: Bitte, den Gürtel lockern und den Hosenbund öffnen, sonst kann ich die Hose nicht abziehen, sagte ihr Blick, ohne die leiseste Andeutung von Befangenheit, auch nicht krankenschwesterhaft, eher kindlich, wie sollte ein Mann, der die Knie nicht beugen konnte, denn sonst aus seinen Kleidern kommen? Ich hatte eine weite, rot-weiß gestreifte Unterhose an. Wenn ich sie gewähren ließ, würde es nicht zu irgendwie peinlichen Entblößungen kommen. Peinlich für wen? Für sie bestimmt nicht. Sie lachte, als sie mir die zerfetzte Hose von den Beinen zog. Die sei nicht zu retten, wenn ich mich nicht dazu entschließen könnte, große bunte Flecken auf die Knie nähen zu lassen, aber das sei nichts für mich – ich sei zu alt. Zu alt, aber daran liege es eigentlich nicht, das sei eher eine Typfrage. Ich sei ein Mann für – sie zögerte etwas, ein Bilderbogen schien vor ihr abzulaufen –, für Dunkelblau – sie sprach das »Dunkelplau« aus, ein Kinderwort. Wenn über einen selbst gesprochen wird, wird der Mensch hellwach. Sie hatte sich Gedanken über mich gemacht. Sie hatte versucht, meinen Stil zu analysieren, und obwohl ich, wie ich da vor ihr lag, keinen dunkelblauen Faden an mir hatte – die nackten Beine und die weiß- und rotgestreifte Unterhose waren inzwischen unter der Bettdecke verborgen –, hatte sie das richtige getroffen, Dunkelblau war reichlich unter meinen Pullovern und Anzügen vertreten.
    Es ging mir gut, schier unvorstellbar gut. Es lag nicht nur am Tee, den ich halb sitzend, auf ein mir von Winnie in den Rücken gestopftes Kissen gestützt, in kleinen Schlucken schlürfte. Es war auch nicht das uralte Erlebnis allein, nach einem physischen Desaster, nach Schmerzen und Aufregungen schließlich in einem frischbezogenen Bett gelandet zu sein, gleichsam den rettenden Hafen erreicht zu haben, das Genießen eines Trostes, der so schön ist, daß aus dem Unglück ein Glücksfall wird, und es war auch nicht nur Winnies Gegenwart, dies unerwartete Himmelsgeschenk.
    Ich war besonders disponiert, dies Gute und Beglückende recht eindringlich aufzunehmen. Der Arzt hatte mir gegen die Schmerzen ein braunes Fläschchen mitgegeben: »Ich bin gegen Schmerzen«, sagte dieser verständnisvolle Mann, wer wäre es nicht, aber nicht jeder Arzt ist dann doch bereit, etwas wirklich Wirkungsvolles herauszurücken. Er vertraute mir offenbar und hielt mich nicht für suchtgefährdet, was vielleicht ein wenig unbedacht war, denn was die Tropfen mir bereiteten, das war so beseligend, daß man darüber nachdenklich werden könnte. Ich befand mich in Hochstimmung. Die starken Schmerzen klangen nicht eigentlich ab, aber meine Laune wurde so überschwenglich, daß ich mich wie ein Herkules fühlte, der noch ganz andere Schmerzen ertragen könnte, ohne daß sich das olympische Licht in ihm trübte.
    Und Winnie war von meiner Stimmung längst angesteckt. Man könnte sagen, sie verdoppelte deren Schwung. Es war ein Tag mit hellem Sonnenschein, das Licht fiel durch die frischgeputzten Scheiben, als sollten wir von Scheinwerfern angestrahlt werden. Wir beide befanden uns in einem Rausch des Vertrauens und der Vertraulichkeit. Wir übersprangen mehrere Stationen, die bei der Entwicklung eines Verhältnisses zwischen Mann und Frau üblicherweise passiert werden müssen. Die Phase der Spannung lag schon hinter uns, hinter mir jedenfalls mit den Tropfen aus dem braunen Fläschchen im Blut, und hinter ihr doch wohl auch, sie gab mir dafür unversehens einen eindeutigen Beweis.
    Der Zufall, daß wir uns heute im Krankenhaus begegnet seien, liege rein auf meiner Seite, nicht auf der ihren. Sie sei keineswegs überraschend oder sogar zufällig dort gewesen, sondern seit langem geplant. Sie hatte sich zu mir aufs Bett gesetzt, lehnte gegen das Fußteil, ihre nackten Füße, die verblüffend klein waren, standen nebeneinander wie ein Paar Schuhe, die im Hotel zum Putzen vor die Tür gestellt sind, auf der Höhe meiner Hüfte. Ich mußte die Hände über dem Bauch falten, um dem übermächtigen Wunsch zu widerstehen, diese Füße zu streicheln und mit ihren Zehen zu spielen, wobei sie vielleicht gar nichts dagegen gehabt hätte,

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