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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Einzug hätte entfernen lassen – darunter quietschte ein schöner alter Parkettfußboden –, dann wäre das eine bei aller Geldverschwendung doch weitgehend schmerzfreie Trennung gewesen, aber jetzt noch einmal die Kraft zu einer solchen Entscheidung zu finden, sah er selbst als unwahrscheinlich an. Und Ivana nahm die gelegentlichen Ankündigungen, der Boden müsse eigentlich heraus, längst nur noch rituell. Wozu brauchte der Mann diese Riesenwohnung? Ivana wußte es nicht. Sie sah Glück selten, meist nur ein paar Minuten, wenn er ausnahmsweise schon um sieben nach Hause kam. Sein Kühlschrank war leer, bis auf eine Champagner- und eine Ginflasche. Die Küche wurde wenig benutzt. Wenn Ivana kam, drängten sich meist nur ein paar gebrauchte Kaffeetassen und Gläser in der Nähe des Spülbeckens. Es lohnte kaum, die Spülmaschine anzustellen. Das Saugen, so lustvoll es war mit seinem erstickten Geheul, beanspruchte sie nicht lange. Länger hatte sie mit Hemdenbügeln zu tun, einer ungeliebten Arbeit, bei der sie ein wenig mogelte, nicht das ganze Hemd in gestärkte Glätte verwandelnd, sondern vor allem Kragen, Manschetten und Brust, und Glück beschwerte sich nicht. In seinem Schlafzimmer gab es einen Kamin, darin lag gelegentlich Asche. Wenn Doktor Glück nachts einen Film im Fernsehen sah, machte er sich dazu im Winter gern ein Feuer. »Eigentlich unnötig«, sagte er sich: entweder fernsehen oder ins Feuer gucken, aber er fühlte sich zum Feuermachen geradezu verpflichtet, weil der Kamin einen beträchtlichen Aufpreis auf die Miete bedeutete. Geizig war er wahrlich nicht, aber etwas nicht zu benutzen, das er bezahlt hatte, das wäre ihm auch nicht recht gewesen.
    Es geschah nicht oft, daß Ivana in der Wohnung Spuren fand, die vermuten ließen, Herr Doktor Glück habe nicht allein übernachtet. Sie registrierte solche Spuren ohne Neugier. Frauen, die sich auf eine Nacht mit Doktor Glück einließen, waren ihr unverständlich – was sollte das? Immerhin schuf Glück sich bei ihr dadurch Respekt, daß er seine Damen-Gäste offenbar mühelos wieder aus dem Haus bekam. Glück war in Ivanas Augen kein schlechter Mann, ein brauchbarer Mann, ein Mann halt, von ihr aus sogar ein gutaussehender Mann, obwohl das unwichtig war, jedenfalls hatte er keinen Buckel und hinkte nicht, was mehr war zu erwarten? Die Hinkenden mußten nebenbei auch nicht übel sein. Dies Alleinleben in der leeren Wohnung ließ darauf schließen, daß Glück drohte, irgendwann zum Opfer zu werden. Irgendeine Frau würde bleiben wollen. Dieser reichliche Leerraum saugte doch notwendig Frauen an. Schade wäre das. Einer Frau, die bei Doktor Glück bliebe, würde Ivana sich ungern unterordnen, das sah sie ganz deutlich.
    Der Staubsauger fuhr an einer langen Reihe auf dem Boden stehender Kupferstiche entlang; Glück war fünf Jahre in England gewesen und hatte sich dort eine Napoleonica-Sammlung zugelegt; Bonaparte zu Pferd, Bonaparte zu Fuß, Bonaparte als Jüngling mit wehendem Haar, Bonaparte mit dickem Bauch. Dieses Sammeln hatte ihn einmal angeregt. Es war ihm von einem Kollegen geraten worden, etwas zu sammeln, das befriedige ungeheuer, und tatsächlich empfand er es eine Weile als Pflicht, in Antiquitätengeschäften und Versteigerungskatalogen nach Napoleon-Blättern zu suchen und sie zu kaufen, was immer sie kosteten, richtig teuer wurde das selten. Warum Napoleon? Falsche Frage: Es fiel ihm kein anderes Objekt des Sammeltriebs ein. Er war phantasielos, so hätte er selbst es, in der schnellen Bereitschaft, Vorwürfen zuzustimmen, eingeräumt.
    Inzwischen war der Sammeltrieb von ihm abgefallen. Er sah die gerahmten Napoleonsköpfe an wie eine fremde Hinterlassenschaft. Die Frau, die gestern abend mitgekommen war – eine schwedische Stewardeß, die früh zum Flughafen aufbrechen mußte, es lohnte sich für sie kaum, ins Bett zu gehen –, hatte ihn geradezu aufgezogen: Warum immer derselbe Mann? Mindestens sechzig Mal derselbe Mann? Was hatte er bloß mit dem vor? Verkaufte er etwa solches Zeug? Für Ivana waren die Bilder unsichtbar im strengsten Sinn des Wortes. Sie sah ihren Rahmen, sie erkannte, daß es Tafeln waren, aber sie hätte auf der Folter nicht angeben können, was darauf abgebildet war, diese Information schnitt ihr Hirn sauber weg, und zwar restlos. Es ging sie nichts an. Sie erachtete die Bilder für Gegenstände, die ihrer Erfahrungssphäre nicht angehörten, und zwar so wenig, daß ihr Urteil darüber: schön oder

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