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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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sie das in etwas Lustig-Appetitliches, gänzlich Unpeinliches, als spreche sie von einem Spiel mit seinen vertrackten, aber unterhaltsamen Regeln. Aber was sie nicht bekommen wollte, sosehr der Arzt dazu riet und es, wie sie sagte, sogar schon »bestellt« habe, das war ein neues Herz. Bei aller Ehrfurcht für die Einsicht von Autoritäten, die sie niemals angezweifelt hätte, war ihr die Vorstellung, ihr untaugliches Herz aus der Brust geschnitten zu bekommen und das Herz eines Toten an ihre verwaisten Arterien und Venen nähen zu lassen, geradezu unerträglich.
    »Das mache ich nicht«, das war gänzlich unexpressiv, in gelassener Sicherheit gesprochen. Sie wisse von einem Mann, der eine fremde Hand angenäht bekommen hätte, wie ein Obstbaum okuliert wird. »Er hat diese Hand nach einer Weile wieder abnehmen lassen, weil sie ihm fremd geblieben ist – die Hand, das ist ein Teil der Seele, vielleicht sogar der Sitz der Seele« –, sie hielt ihre ovale, ein wenig verfrorene Kinderhand in die Höhe, als wolle sie mit ihrer Seele winken, es war in diesem Augenblick evident, daß ihre Seele jedenfalls gelegentlich in den Händen Wohnung nahm – »nein, meine Schrift ist kein Beweis dafür«, das beschämte sie ein wenig, sie habe gar keine Schrift, habe niemals mit der Hand geschrieben und jetzt sei es zu spät. Aber wenn dieser unglückliche Mann die Fremdheit der angenähten Hand so stark empfunden habe – was solle dann erst bei einem fremden Herzen geschehen? Und ein Herz lasse sich nicht so einfach wieder entfernen wie eine Hand – wenn das fremde Herz ihr zur Bedrohung würde, liefe doch eigentlich alles auf eine Schlachtung hinaus. Im übrigen habe sie so etwas Ähnliches wie eine Schlachtung schon hinter sich, beinahe wäre es schiefgegangen. Wie sie da vor mir saß, mit leicht angezogenen Knien, ein Besuch im Bett wie zu Schülerzeiten, ein argloses Zueinanderkriechen, kreuzte sie plötzlich die Arme, ergriff den Saum ihres Hemdchens und hob es bis über die kleinen weißen Brüste in die Höhe; zwischen den Brüsten mit ihren kirschgroßen, scharf abstehenden, im Gegenlicht geradezu schwarzroten Warzen lief eine lange bläulich-violette Narbe. Ihr Brustkorb mußte aufgesägt und regelrecht aufgeklappt worden sein. Sie war behandelt worden wie einst eine mit Sägespänen gefüllte Puppe beim Puppendoktor. Daß ein Mensch eine solche Mißhandlung lebend überstand, war eine grausige Vorstellung. Sie senkte die Augen und den Kopf und betrachtete mit mir gemeinsam die schreckliche Narbe, bevor sie das Hemdchen wieder herunterzog. Die Operation habe ihr überhaupt nichts ausgemacht. Schmerzen ertrage sie gut, und Angst vor dem Tod habe sie nicht, obwohl es nah daran gewesen sei. Sie finde nichts so lächerlich wie Leute, die immerfort Furcht vor Ansteckung und dem Krankwerden hätten, diese Japanerinnen, die mit Mundschutz durch Europa liefen, wie komisch seien die doch eigentlich.
    »Meine Eltern waren an jedem Morgen wie eben auf die Welt gekommen. Die Erinnerung an den Tag davor war ausgelöscht. Sie hatten alle Verabredungen, alle Vereinbarungen, Einladungen, Pflichten wieder vergessen, manchmal auch mich.« Vorbildlich wolle sie das nicht gerade nennen, obwohl es Vorbild für sie geworden sei. Es gibt einen einzigen Tag, und der ist jetzt, nichts davor und nichts danach, so empfinde sie. Ich dachte an die Möglichkeit, daß ein Tag sich dehnte und monate- und jahrelang dauerte, ein Leben lang, während es immer derselbe Tag sei; wohl auch eine Wirkung der Tropfen aus meinem braunen Fläschchen.

Dreizehntes Kapitel
    Die Machtergreifung der Krähen
    Vom Standpunkt der Putzfrau war die Wohnung des Doktor Glück unübertrefflich, obwohl sehr groß, aber eben auch beinahe leer und ganz mit einem Teppichboden in Dentistenrosa ausgelegt, den zu staubsaugen Ivana eine Freude war. Sie zog mit dem Luxusstaubsauger von Doktor Glück – bei solchen Sachen wählte er grundsätzlich das teuerste Modell – regelrechte Straßen durch die weiten möbellosen Felder und freute sich daran, wenn die unterschiedlich gelegten Härchen des Velours nach dem Saugen ein Streifenmuster wie auf dem neuen Rasen eines Fußballplatzes entstehen ließen. Deswegen riet sie Doktor Glück auch stets davon ab, den Boden, den er vom Vormieter für viel Geld hatte übernehmen müssen, herausreißen zu lassen. Glück fand ihn scheußlich, aber seine Abneigung war schwächlich, ohne echten Vernichtungsfuror. Wenn er ihn gleich vor dem

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