Das Blutbuchenfest
verschieb auf morgen, was du Gutes tun willst, heut sei noch einmal das alte verkommene Schwein!
Der Kopf einer solchen Krähe schien nur für den gefährlichen Hackschnabel dazusein, klein und dumm mit schwarzen Rattenaugen, der Schnabel dafür aber ein großes geschliffenes Mordinstrument in der Hornscheide eines Dolches. Ivana vergaß nie, wie sie zu Hause in Bosnien Zeuge geworden war, als sechs hühnergroße Krähen ein junges, beinah nur aus entsetzten Augen bestehendes Kätzchen totgehackt hatten. Das steckte in diesen Vögeln. Eben noch sahen sie aus, als hätten sie gar keinen Körper, seien aus schwarzem Papier geschnitten, ein krähenförmiges Loch in der Landschaft, durch das die Kohlenhölle, die hinter allem verborgen war, hervorsah, aber dann fiel das Licht anders auf ihr Gefieder und sie offenbarten ihre schwere proletarische Körperlichkeit, das schmutzig erscheinende Federkleid, an muffige, verschwitzte Wäsche gemahnend, und eine Kraft, die sie befähigte, ein Kind jedenfalls gefährlich zu verletzen. Ivanas Bruder trug noch heute an Brust und Stirn helle Narben, die ein Krähenschnabel, der über den Waschkorb mit dem schlafenden Zweijährigen gekommen war, geschlagen hatte.
Doktor Glücks Wohnung mit dem weiten baumbeschatteten Garten – die alte Blutbuche war ein Naturwunder –, umschlossen von hohen Mauern und geschmiedeten Gittern, eine Enklave luxuriöser Abgeschiedenheit, lag mitten in der Stadt, war aber zur Luft hin selbstverständlich offen, nicht unter einer Kristallglasglocke und damit den Angriffen gemeiner Eindringlinge von oben schutzlos ausgeliefert. Im übrigen kennt jedes Reservat ungeschützte Stellen, von denen aus es erobert werden kann; und dann sind erfahrungsgemäß die unzuverlässigsten Faktoren die Bewohner selbst.
Ivana machte eine scheuchende Bewegung mit dem Staubsaugerrohr, aber die Krähe blieb sitzen, plump auf der Stuhllehne balancierend, auf die sie häßlich schwankend herübergehüpft war. Man sah es ordentlich: Der kleine Kopf war bis zum Rand mit vulgärer Berechnung ausgefüllt. Die Krähe schätzte die Wahrscheinlichkeit, daß Ivana die Balkontür öffnete und einen Schritt auf sie zutat, genau ein und würde in ihrem ungraziösen, an ein aufgezogenes Spielzeugtier erinnernden Hüpfer nicht weiter weghüpfen als unbedingt erforderlich, und wenn sie schließlich schwerfällig, die Flügel wie feuchte Putzlumpen schwenkend, ein paar Meter davonflog, lag in diesem gleichsam schlurfenden Abgang so viel Verachtung, als wisse sie, daß Ivana keine Schrotflinte griffbereit halte.
Bauz, unversehens traf etwas Leichtes, Hartes Ivanas Stirn. In der Regenrinne über ihr hockte eine Krähe, die sich mit ihrer Beute dort beschäftigte. Eben hatte sie die leergesaugte Hummerschere fallen lassen. Leuchtend rot lag sie zu Ivanas Füßen.
In diesem Augenblick begann eine übermütige, hochfidele Musik die Luft zu erfüllen, mexikanisches Zirpen, Steelband-Klingeln, Brass-Akkorde, volltönend, üppig, der plötzliche Einbruch unbekümmerter Partystimmung, ziemlich laut. Ivana stutzte einen Augenblick, in dem es unverdrossen weiter rappelte, summte und brauste. Sie war noch nicht an ihren neuen Signalton gewöhnt. Das kleine Telephon steckte ihr im Hosengürtel. Ein Knopfdruck, und das Übermutsdudeln verstummte. Statt dessen in raumloser Ferne, aus echolosem, fensterlosem Irgendwo die schlechtgelaunte Stimme ihres Mannes. Er war auf seiner Baustelle, aber er klang, als sitze er in einem Betonschacht unter Neonlicht.
Vierzehntes Kapitel
Unter Männern
Daß Rotzoff bei Merzinger grundsätzlich nicht bezahlte, war, wie man gesehen hat, so selbstverständlich auch wieder nicht. In der Politik wie im Leben der kleinen Leute gilt, daß um Selbstverständlichkeiten gelegentlich gekämpft werden muß, und dazu war Rotzoff fähig und bereit und hatte inzwischen seinen Etappensieg errungen. Und mußte etwas tun, um die neue Sicherheit zu bestätigen, etwas, was das Personal von Merzinger verblüffte. Er lud nun ein – niemanden vom Ecktisch wohlgemerkt und auch das große schöne Mädchen nicht, das ihn ohnehin immer nur abholen kam und oft genug wieder weggeschickt wurde, er sei noch »beim unwiderruflich vorletzten Glas« – sie nahm das nie übel und drängte auch nicht, wie andere Frauen das zu tun pflegten – ich konnte mir bei ihrer demütig-heiteren Leidensbereitschaft sogar vorstellen, daß sie vor der Tür im Auto wartete. Er hingegen trat neuerdings öfter
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