Das Blutgericht
Haus. Als ich mich wieder umsah, tastete Jorgenson vorsichtig in der Jacketttasche seines Vaters herum. Er sah mich voller Abscheu an.
»Was gefunden?«
»Nichts«, zischte er und zog sich hastig zurück.
»Holen Sie Marianne«, befahl ich. »Bringen Sie sie dort rüber.«
Jorgenson half Marianne auf. Sie wirkte etwas zittrig, aber unverletzt. Auf wackligen Beinen ließ sie sich von Jorgenson an dem Toten vorbei zum anderen Ende des Zimmers führen. Ihre Augen zuckten wild umher, wie Vögel, die bei Einbruch der Dämmerung Insekten jagen, nie auf eine Stelle fokussiert, immer in Bewegung.
»Kennen Sie diesen Mann?«, wollte ich wissen. Ich warf einen Blick aus dem Türrahmen und registrierte, dass sich unten ein Schatten bewegte.
»Nein«, antwortete Jorgenson. »Und Sie kenne ich auch nicht. Wer zum Teufel sind Sie denn eigentlich?«
Überraschenderweise war es Marianne, die ihn aufklärte: »Das ist Joe. Er ist hier, um uns zu helfen.«
»Sie wissen nicht, warum er ein Interesse daran haben könnte, Sie zu töten?«, fragte ich.
Keine Antwort. Als ich hinsah, hielt Jorgenson Marianne an sich gepresst, seine Hände umfassten ihren Kopf und drückten ihn an seine Brust. Marianne schluchzte in sein Hemd. Ein Inbild der jungen Liebe. Keine Spur mehr davon, dass Marianne jemals unter seinen Schlägen gelitten hätte. Vielleicht hatte sie nur das geringere Übel gewählt.
Die Probleme der Jorgensons zu lösen würde sich später noch Zeit finden. Jetzt im Moment gab es eine viel größere Gefahr für Mariannes Wohlergehen. Der Killer war noch unten im Erdgeschoss, und er hatte noch nicht aufgegeben.
»Kommt man noch irgendwie anders hier raus?« Ich schaute mir die Fenster an und entschied, dass wir eins davon einschlagen und hinausklettern könnten. Es wäre ein ordentlicher Sprung nach unten, aber das könnten wir alle schaffen. Was mir daran nicht gefiel, war die Vorstellung, dass der Killer unten auf uns warten und einen nach dem anderen ins Visier nehmen könnte, wenn wir aus dem Fenster kletterten.
RINK WIE WEIT WEG?
Gehetzt tippte ich meine SMS. Zum Glück kam seine Antwort innerhalb von Sekunden, aber sie lautete anders, als ich gehofft hatte.
15 MIN
Zu weit weg. So lange würde der Killer nicht warten.
Ich hörte Geklapper und einen dumpfen Schlag unterhalb von uns.
»Was macht er da?«, fragte Marianne.
Das hatte ich mich auch gefragt. Hörte sich an, als sei er in der Küche.
TRIFF UNS IN SOBE, tippte ich an Rink.
In ihrer Schulmädchen-Inkarnation wäre Marianne unter diesen Umständen keine große Hilfe gewesen. Aber als die strahlende Vorzeigefrau, die Jorgenson aus ihr gemacht hatte, besaß sie etwas, das sie ins Spiel bringen konnte.
»Marianne, haben Sie hier irgendwo Parfüm?«
Marianne starrte mich an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. Ehrlich gesagt war sie damit gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. »Parfüm?«
»Gutes Zeug. Hochkonzentriert?«
Sie nickte und löste sich aus Jorgensons Umarmung. Um den toten Mann ging sie in großem Abstand herum zu einer Anrichte. Sie zog eine Schublade auf und schnappte sich ein paar Fläschchen. Den Marken und dem Design der Flakons nach zu schließen, würde die Bombe, die ich daraus basteln wollte, Tausende von Dollar kosten.
Ich vergewisserte mich, dass der Killer nicht wieder versuchte, sich die Treppe hochzuschleichen. Die Geräusche von unten bestätigten mir, dass er immer noch in der Küche zugange war. Für einen Moment überlegte ich, Marianne und Jorgenson aus dem Schlafzimmer zu führen, damit wir unser Glück über die Treppe probieren konnten, solange er noch mit was immer er da auch tat beschäftigt war. Aber er würde uns hören und einen nach dem anderen von der Treppe holen.
Als ich in das Schlafzimmer zurückkehrte, drängten sich Jorgenson und Marianne an mich.
»Das wird hoffentlich nicht das, wofür ich es halte«, sagte Jorgenson zu mir. Sein Kopfschütteln deutete auf pure Verleugnung der Tatsachen hin.
»Wir müssen ihn ablenken, sonst kommen wir hier nicht lebend raus.« Ich begann die Parfümflakons aufzuschrauben. »Treiben Sie ein größeres Behältnis auf. Die Weinflasche dort drüben ist ganz gut.«
»Aber mein Vater …«, krächzte Jorgenson.
»Ihr Vater ist bereits tot«, erklärte ich ihm. »Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er wollen würde, dass Sie überleben. Und jetzt holen Sie mir schon die Scheißflasche!«
Dann trat ich heraus zur Treppe und spähte über das
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