Das Blutgericht
und beobachtete seltsam fasziniert, wie sie in den Ozean purzelte. Dann drehte sich der Mann herum, lehnte sich an eine Mauer und starrte mich direkt an. Ich hatte das erwartet, deshalb war ich bereits ein Stück im Liegestuhl heruntergerutscht und hatte meinen Kopf zur Seite gelegt, als ob ich dösen würde. Ich beobachtete ihn durch fast gänzlich zugekniffene Augen. Dem Mann rutschte ein Lächeln übers Gesicht. In der schummrigen Beleuchtung wäre es mir fast entgangen, aber dann sah ich für einen Moment seine Zähne aufblitzen.
Außerhalb seiner Sicht war ich schon dabei, eine SMS an Rink zu tippen.
KOMM SCHNELL HER. ES GIBT ÄRGER.
Ich drückte die »Senden«-Taste gerade in dem Moment, als der Mann sich wegdrehte und den Küstenpfad betrat. In seinem tiefschwarzen Haar spiegelten sich die Lampen entlang des Pfades, so konnte ich erkennen, dass er sich auf die Mauer zu Jorgensons Garten zubewegte. Ich blinzelte kurz, und schon hing der Mann wie eine Fledermaus an der Mauer. Kurz darauf war er im Garten und hielt inne, um seine Taschen zu überprüfen. Seine nächste Bewegung kam wie die einer Schlange, die zubiss – schnell und gleichzeitig geschmeidig. Dann verlor ich ihn aus den Augen, weil Pflanzen mir die Sicht verdeckten.
Geduckt schob ich mich vor bis zum Rand meines Balkons. Die Lampe über Jorgensons Eingangstür tauchte die Terrasse fast in taghelles Licht. Es folgte ein Geräusch wie ein heiseres Husten, und es wurde dunkel im Garten.
Das war für mich das Zeichen zum Aufbruch.
Ich hörte vier Schüsse in schneller Folge aus einer schallgedämpften Pistole und zersplitterndes Glas.
Der Weg durch mein Apartment hätte zu lange gedauert. Ich schwang mich über das Balkongeländer und landete auf der Terrasse darunter. Wie ich es in meinen Fallschirmjäger-Tagen gelernt hatte, zog ich den Kopf ein und rollte mich zur Seite, federte den Aufprall ab und kam, meine SIG auf Jorgensons Haus gerichtet, wieder zum Stehen. Dann setzte ich mich in Bewegung. Weiter hinten im Garten markierten nur Büsche die Grenzen zwischen den beiden Anwesen, aber hier in der Nähe der Eingänge hatte man eine kleine Mauer errichtet, die den Bewohnern etwas Privatsphäre verschaffte, wenn sie auf der Terrasse saßen. Ich musste einen Terrakottatopf mit irgendeinem Farngewächs beiseiteschieben. Dann sprang ich über die Mauer und war auf Jorgensons Grundstück.
Ein weiterer dumpfer Schlag war zu hören, dann Klappern und Poltern, als ob jemand eine Treppe hinunterfiele. Ich betrat den Eingangsbereich in dem Moment, als der Mann, den ich draußen beobachtet hatte, die Treppen hocheilte. Der stämmige Typ, der Marianne vorhin ins Haus gerufen hatte, war tot. Er hatte immer noch einen Telefonhörer in der Hand, aber die Schnur hatte er im Fallen herausgerissen. Ein weiterer Mann lag ausgestreckt auf dem Boden. Sein Blut war quer über die Wände verteilt und sorgte auf dem zerbrochenen Spiegel für gespenstische Muster.
Wo zur Hölle war ich da jetzt schon wieder reingeraten? Aber ich hatte keine Zeit, lange damit zu hadern, dass das Unglück schon wieder seine schwarze Hand in meine Richtung ausgestreckt hatte. Marianne war dort oben. Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Killer war. Aber ganz egal, ob Marianne sein Ziel war oder nicht, sie würde nicht lebend aus dieser Sache rauskommen, wenn ich hier unten stehen blieb und mir über jahrhundertealte Probleme den Kopf zerbrach.
Der Killer war schon außer Sicht. Noch ein Schuss fiel, darauf folgten gedämpfte Stimmen. Ich schwang mich auf die Treppe und fand eine weitere Leiche. Eine junge Frau, der der halbe Kopf fehlte. Das machte mich wütender als egal wie viele abgeschlachtete Bodyguards. Und es sagte mir, dass der Killer nicht zögern würde, auch Marianne eine Kugel zu verpassen.
So geräuschlos wie möglich arbeitete ich mich die Treppe hoch. Der Killer und jemand anderes – wahrscheinlich Jorgenson – unterhielten sich leise. Ich achtete nicht darauf, was gesagt wurde, der bedrohliche Ton in der Stimme des Killers hielt mich in Bewegung.
Am oberen Treppenabsatz angekommen, schlich ich durch den Flur. Der dicke Teppich unter meinen Gummisohlen schluckte die Geräusche, unbemerkt konnte ich bis zum Schlafzimmer vordringen.
Ich hielt meine Waffe bereit. Lauschte.
»Die?«, fragte der Killer. »Wer sind denn die, in die Sie so viel Vertrauen setzen? Die müssen mich erst mal finden. Und wenn ich nicht will, dass die mich finden, dann finden die mich auch
Weitere Kostenlose Bücher