Das Blutgericht
Schutthaufen heraus. Was allerdings auch nicht ausschloss, dass Marianne irgendwo unter der Ruine des Hauses begraben war.
In meiner Nähe regte sich etwas – ein Schatten, der sich von mir fortbewegte. Ein dunkler Anzug, weder Jorgenson noch Marianne. Der Killer, dachte ich, der sich aus dem Staub macht. Ich hob die SIG und zielte. Aber dann ließ ich den Lauf wieder sinken. Die Person hatte längeres helles Haar, der Killer jedoch tiefschwarzes. Wahrscheinlich war es nur ein unschuldiger Passant, der durch die Explosion überrascht wurde und jetzt nach Hause stolperte.
Ich bewegte mich zurück zur Seite des Gebäudes, wischte mir die Aschereste vom Kopf und versuchte herauszufinden, wohin die beiden geflüchtet sein konnten. Das Gebäude stand immer noch, aber statt des oberen Stockwerks hatte man nun freie Sicht auf den Himmel, geschmückt von ein paar Zinnen, die vorher nicht da gewesen waren. Im Erdgeschoss entdeckte ich eine geöffnete Tür, zu der von oben eine Treppe führte – ein Personalausgang zu den Mülltonnen an der Rückwand.
Dann riss mich ein Motorengeräusch aus meinen Untersuchungen.
Ich machte auf dem Absatz kehrt, rannte zur Grundstücksmauer und zog mich daran hoch. Als ich die Mauerkrone erreichte, hatte ich freien Blick auf die Landzunge, die sich in die Biscayne Bay schob.
Von Marianne war nichts zu sehen, aber ich erkannte Jorgenson, der in der Kabine seiner Yacht stand. Sein Gesicht war dreckverschmiert, aber es sah so aus, als ob er der Explosion ohne größere Verletzungen entkommen wäre. Mir blieb nur zu hoffen, dass es Marianne ähnlich gut ergangen war. Ich richtete mich auf der Mauer auf und rief Jorgensons Namen. Im Geprassel der Flammen, dem Knarren des brechenden Gebälks und dem Dröhnen des Bootsmotors ging meine Stimme unter. Aber Jorgenson sah zu mir her.
Unsere Blicke trafen sich.
Jorgenson ließ irgendeine Bemerkung in meine Richtung ab. Dann drehte das Boot vom Kai ab zur offenen See. Ich hatte das Nachsehen und ein mehr als unbefriedigtes Gefühl im Magen. Besonders, als ich ein Stück hellblauen Pullover aufblitzen sah und mir klarwurde, dass es mir nicht gelungen war, Marianne aus den Klauen ihres Peinigers zu befreien.
In meiner Tasche vibrierte das Handy.
Ich zog es heraus und blickte auf den Bildschirm. Trotz allem musste ich lächeln.
LEBST DU NOCH?
Ich rief zurück.
»Hi Rink«, sagte ich, als er abnahm. »Wo bist du jetzt?«
»Ich sehe mir gerade so eine Art Feuerball von draußen in der Biscayne Bay an«, sagte Rink. »Erzähl mir bloß nicht, dass du das warst.«
»Ich kann nichts dafür«, versicherte ich ihm.
»Aber wie immer steckst du mittendrin in der ganzen Angelegenheit.«
»Was, ich?«
Rink musste lachen. »Ich bin froh, dass es dir gutgeht, Hunter. Hast du Marianne da rausholen können?«
»Ich fürchte nicht«, antwortete ich. »Da gingen ganz andere Dinge vor sich. Ich bin nur froh, dass das Mädchen mit heiler Haut davongekommen ist. Wir können sie später noch rausholen.« Dann erzählte ich ihm von dem Killer und von dem, was er getan hatte.
»Hört sich ja an, als ob der Hurensohn ziemlich verzweifelt gewesen ist«, meinte Rink. »Hast du eine Idee, wer das gewesen sein könnte? Oder was er da gemacht hat?«
»Ein bisschen was habe ich mitbekommen. Hörte sich wie ein richtiger Sadist an: Er wollte, dass Jorgenson die Entscheidung trifft, wer von beiden zuerst sterben soll.«
»Also der typische durchgeknallte Freak, der auf eigene Rechnung arbeitet, was?«
»Er kam mir schon wie ein Psychokiller vor, Rink. Aber da steckt noch mehr dahinter: Er war ein Profi. Er hat das nicht zum Spaß getan. Jemand, der will, dass Jorgenson und Marianne sterben, hat ihn geschickt.«
»Du sagtest, sie konnten entkommen?«
»Ja, aber wenn dieses Arschloch bemerkt, dass er sie nicht erwischt hat, wird er zurückkommen.«
»Ja«, sagte Rink.
Und wir würden auf ihn warten.
11
Noch während ich schlief, war die Zerstörung von Jorgensons Villa schon in sämtlichen Nachrichten und Zeitungen. Mein kräftiger Kumpel Rink weckte mich, indem er mir die Morgenzeitung auf die Brust klatschte. Das hatte den gewünschten Effekt, mich aus meinen Alpträumen zu wecken, in denen ich von Flammen eingeschlossen war und ein kichernder Dämon mich hinter seiner Wachsmaske hervor auslachte. Kerzengerade schoss ich auf meiner improvisierten Bettstatt hoch und stellte fest, dass ich mich auf der Couch im Büro von Rington Investigations befand. Ich
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