Das Blutgericht
nicht im eigentlichen Sinne. Ich hatte mein Bedauern darüber ausgedrückt, dass ich ihn vom Krankenbett seiner Mutter fernhielt. Er hatte mir gesagt, dass ihm materielle Werte nicht viel bedeuteten. Also war er in Gedanken bei seiner Mutter, und daran würde sich nichts ändern. Bis wir den Job erledigt hatten.
»Besser, wir nehmen den Crown Vic«, sagte Rink. »Der Porsche ist durch, wenn du mich fragst.«
»Wir lassen den Porsche einfach so zurück?«, fragte ich. Der Boxster steckte voller Beweismaterial: Fingerabdrücke, Fasern, Geschosshülsen. Wenn sich erst mal die Spurensicherung damit beschäftigte, würde im Handumdrehen die Verbindung zu uns hergestellt werden können.
Rink holte ein Benzinfeuerzeug aus der Tasche und klappte es auf. Er drehte am Zündrädchen, eine orange Flamme züngelte hervor.
»Wie ich schon sagte, ich wollte ihn sowieso umtauschen.«
Wir fuhren im Crown Vic davon, das flackernde Inferno, das einstmals ein Porsche war, beleuchtete den ganzen Parkplatz. Die Flammen tauchten den Leuchtturm in ein tiefes Gelb und spiegelten sich in dessen Linse wie ein Geisterlicht.
Rink fuhr den Wagen, Marianne und ich saßen auf der Rückbank. Sie hatte sich ganz in die Ecke gedrängt, ihre Beine an den Körper gezogen und umschloss sie mit beiden Armen. Der Sicherheit zuliebe hatte ich sie wieder die Kevlarweste anziehen lassen. Sie verschwand darin völlig, der Kragen reichte ihr fast bis zu den Ohren, so dass nur ihre obere Gesichtshälfte von der Nasenspitze an zu sehen war. Das war einerseits ganz süß anzuschauen und andererseits ein trauriges Bild. Sie war in Gedanken versunken, ich konzentrierte mich darauf, was wir als Nächstes unternehmen würden.
Rink hatte unseren gemeinsamen Freund Harvey Lucas verständigt. Es war langsam an der Zeit zu hören, was er herausgefunden hatte. Ich hatte seine Nummer in meinem Telefon gespeichert und drückte eine Kurzwahltaste. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Harvey abnahm und ich seine wohlklingende Stimme im Ohr hatte. Ich stellte auf Lautsprecher, damit Rink mithören konnte.
»Ihr Jungs steckt wieder bis zum Hals in den üblichen Schwierigkeiten«, sagte Harvey.
»Wem sagst du das«, entgegnete ich. Vom Vordersitz hörte ich Rink zustimmend brummeln. Er bugsierte den Wagen gerade von der Anschlussstelle über die A1A Highway Bridge Richtung West Indiantown Road und überquerte dabei die breite Mündung des Loxahatchee River.
»Über euren Schützen hab ich nicht viel«, begann Harvey ohne großes Vorgeplänkel. »Anscheinend ist er der reinste Geist.«
»Zumindest ist er das jetzt«, sagte Rink.
»Du hast ihn erwischt?«, fragte Harvey.
»Hat ihn aus großer Höhe ins Meer geworfen«, sagte ich. Der ewige Zyniker in mir wollte nicht akzeptieren, dass er tot war – jedenfalls nicht, bis ich ihn nicht weiß und aufgedunsen auf dem Obduktionstisch des Gerichtsmediziners gesehen hatte.
»Also ist jetzt alles gelaufen?«
»Noch nicht. Ich weiß nicht, mit wie vielen anderen Leuten wir es noch zu tun haben«, sagte ich. »Was hast du darüber herausgefunden, wer ihn angeheuert hat?«
»Bis jetzt noch nichts, aber ich habe mir auch die Geschäfte der Jorgensons ein bisschen genauer angeschaut.«
Ich sah kurz rüber zu Marianne, aber sie war ganz in ihrer eigenen Welt. Sie sah mich nicht einmal an und schien unserem Gespräch nicht zu folgen. Sie hatte andere Dinge im Kopf: Bradley zum Beispiel.
»Erzähl schon, Harve«, bat ich ihn.
»Willst du die ganze Geschichte hören oder die Kurzversion?«
Ich betrachtete die Ladeanzeige meines Mobiltelefons. Nur noch zwei Striche. »Am besten nur die wichtigsten Punkte.«
»Na gut.« Harvey legte eine Pause ein, als ob er erst seine Gedanken ordnen wollte. Nicht dass er das nötig gehabt hätte. Ich schätzte, dass er schon genau wusste, was er sagen wollte. »Zunächst einmal, ihr wisst, dass das Familienunternehmen hier in den Staaten schon drei Generationen besteht, oder? Seit Korea, Vietnam und bis zum heutigen Tage haben die Jorgensons Hand in Hand mit dem Pentagon zusammengearbeitet. Diese Partnerschaft hat sich als überaus gewinnbringend erwiesen und die Taschen der Jorgensons mit Millionen – um genau zu sein: mit Milliarden – gefüllt. Das Problem ist, dass Valentin Jorgenson in den letzten paar Jahren ein paar Leuten auf den Schlips getreten ist. Und zwar auf beiden Seiten. Sein Unternehmen war zuständig für die Entwicklung von Impfstoffen für das Militär. Ihr erinnert euch
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