Das blutige Land: Die Götterkriege 3 (German Edition)
damit. Zudem wisst ihr Menschen nur den kleinsten Teil von uns.«
»Also sind diese Geschichten doch übertrieben?«, fragte Ragnar nach.
Sie sah noch einmal zu dem Toten hin. »Ich denke nicht«, teilte sie Ragnar mit und ging davon, ohne dass ihre Schritte von den Wänden widerhallten.
Es hatte etwas gedauert, bis wir den Hauptmann der Wache so weit beruhigen und davon überzeugen konnten, dass Zokora den Mann nicht angefasst hatte und weder sie noch Varosch irgendwelche Zauber verwendet oder ihm die Seele aus dem Leib gezogen hatten. Dass Varosch das Zeichen Borons als Anhänger um seinen Hals trug und dass er das Totengeleit kannte, all dies führte letztlich dazu, dass man den Unglücklichen wegtrug und uns in Frieden ließ, ohne dass es nötig gewesen wäre, Leandra mit einzubeziehen.
Es half auch, dass der Hauptmann der Wache Varosch zwar mit Misstrauen begegnete, aber nicht gleich zitternd und weinend bei seinem Anblick zusammenbrach.
»Ihr sagt, dass er in den Südlanden geboren wäre und nun nach langer Wanderschaft heimgekommen ist?«, fragte mich der Hauptmann und wies mit dem Daumen auf Varosch. »Und dass Ihr Euch für ihn verbürgt?«
Ich nickte nur.
»Gut«, meinte er dann zu Varosch. »Der Götter Segen mit Euch und willkommen zu Hause.«
»Danke«, sagte Varosch und fügte bitter hinzu, als der Hauptmann ging und zwei Wachen an der Tür zurückließ, die nicht ganz so ängstlich waren: »Genauso habe ich mir die Rückkehr vorgestellt.«
»Gibt es ein Fenster, das den Blick auf die Stadt erlaubt?«, riss mich Serafine aus meinen Gedanken. Ich wies auf das Fenster auf der anderen Seite des Kaminzimmers. Wie die meisten Fenster hier war es aus trübem Butzenglas gefertigt, ein Luxus, wie ich mich erinnerte, es gab andere Räume in der Kronburg, in denen es lediglich Fensterläden gab. Serafine zog es auf und sah hinaus, ich gesellte mich zu ihr und schaute ihr über die Schulter.
Wie oftmals üblich, hatte man die Kronburg auf einen Hügel gebaut, der sich leichter verteidigen ließ, und von diesem Fenster aus hatte man in der Tat einen guten Blick auf die Kronstadt. Wir waren sogar hoch genug, um über die mächtigen Mauern hinwegsehen zu können, die die alte Oberstadt von der neuen Unterstadt trennten und nun als einziges Hindernis zwischen uns und den Truppen des Nekromantenkaisers standen.
Ich griff an meinen Gürtel, zog das Sehrohr aus der ledernen Tasche, die ich dort trug, und reichte es an Serafine weiter. Sie nutzte es, um sich Illian genauer anzusehen. Die Dämmerung wandelte sich bereits zur Nacht, doch für den Moment konnte man noch genug erkennen.
»Das sieht aus, als läge in der Unterstadt kein Stein mehr auf dem anderen«, sagte sie leise. »Überall Lagerfeuer … Ich hatte vergessen, wie viel vier Legionen sind, es sieht aus, als wären wir von einem Meer von Feinden umgeben.« Sie schob das Sehrohr wieder zusammen und gab es an mich zurück, um sich im Fensterrahmen umzudrehen und mich prüfend zu betrachten. »Wie lange war dies dein Zuhause?«
»Fast vierzig Jahre«, antwortete ich, während ich mich im Kaminraum umsah. Er war der größte der drei Räume, die man mir zur Verfügung gestellt hatte, und hier befand sich auch das große Bett. Nach links ging es zu einem dunklen, engen Waschraum ab, in dem sich ein Sitzbad befunden hatte. Nur eine schmale Schießscharte spendete dort Licht, und im Winter war es oft genug geschehen, dass die Wände vereisten. Ich hatte mir das nur einmal angetan, seitdem stand die Sitzbadewanne neben dem Kamin. Die andere Tür ging zu einem kleinen Zimmer, das allerdings große, offene Fenster besaß. Kein Glas darin, doch im Sommer war es angenehm.
Aus dem Waschraum hatte ich ein Lager gemacht, in das ich alles geräumt hatte, was ich nicht mehr brauchte, mein Leben indes hatte sich hier in diesem Raum abgespielt, rund um den Kamin, der groß genug war, um einen kleinen Ochsen darin zu rösten, und einem im Winter die Front ansengte, während einem der Hintern abfror. Überall hingen dicht gewirkte Wandteppiche, um die beißende Kälte aus dem Stein zurückzuhalten, meist zeigten sie irgendwelche Jagdszenen oder religiöse Bilder aus den Büchern der Götter, doch dieser eine, den Serafine nun schweigend musterte, zeigte Nymphen im Wald, die sich mit Jünglingen vergnügten.
»Sind das deine Bücher?«, fragte sie und wies auf einen kleinen Schrank mit bleiverglasten Türen.
»Ja«, nickte ich. »Alle vier.« Das Buch Soltars, so
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