Das blutige Land: Die Götterkriege 3 (German Edition)
zerlesen, dass die hölzernen Einbandbretter von meinen Händen fleckig geworden waren, dann ein Buch über die Sagen und Legenden meiner Heimat, ein Buch in einer seltsamen Sprache, das Kampftechniken behandelte. Jetzt wusste ich immerhin, das es aus Bessarein stammte. Ich fragte mich, wie es den Weg hierher gefunden hatte. Die Worte darin hatte ich nie verstanden, aber die Zeichnungen darin waren gut genug, dass ich mir den einen oder anderen Trick daraus hatte aneignen können. Zuletzt gab es da auch noch einen kleinen Band mit Gedichten. Eleonora hatte ihn mir kurz vor dem Attentat auf sie geschenkt, als Dank für einen Sperling.
Dieser Raum war voll mit Treibgut aus meinem Leben, dort ein Zweihandschwert, mit großen Haken an der Wand gehalten, das ich einmal in einem Turnier gewonnen und nie wieder angefasst hatte, dort ein alter, verbeulter Schild mit dem Wappen der Rose darauf.
»Hast du die alle geschnitzt?«, fragte mich jetzt Serafine und wies auf ein Regal voll von kleinen Holzfiguren. Es gab sie nicht nur dort, kaum eine Oberfläche, auf der nicht zumindest eine der Figuren zu finden war.
»Ja«, sagte ich leise. »Alle.« Ich trat neben sie, als sie vorsichtig eine der Figuren nahm und betrachtete; sie zeigte ein junges Mädchen, das sich im Schlaf schützend um ein kleines Ferkel gelegt hatte.
»Wer war sie?«, fragte Serafine.
»Das ist meine Schwester«, erklärte ich ihr und nahm ihr die Figur vorsichtig aus der Hand um sie mir noch einmal zu beschauen. Ich hatte vergessen, wie sie ausgesehen hatte, doch jetzt stieg wieder ein Bild auf, das mich lachen ließ, wie sie dagestanden und geschworen hatte, genau dieses Ferkel mit ihrem Leben zu verteidigen. »Das Schwein hieß Tergo. Sie kämpfte wie ein Löwe darum, dass es nicht geschlachtet werden sollte.«
»Und sie?«, fragte Serafine sanft. »Wie hieß deine Schwester?«
Sie hieß … ich seufzte. Eben hatte ich es noch gewusst. »Ich weiß es nicht mehr«, gestand ich und stellte die Figur zurück. »Manchmal erinnere ich mich an ihren Namen, aber meist … Das ist alles, was mir von ihr blieb.«
Serafine musterte die Figuren, zum größten Teil hatte ich die Formen von Menschen in dem Holz gefunden, die mir etwas bedeutet hatten. Wie dieser lachende Ritter dort, oder dieser Barde mit dem spitzen Bart. Und …
»Und sie?«, fragte Serafine, die meinem Blick gefolgt war, und wies auf eine junge Frau, die unter einem sorgsam gearbeiteten Apfelbaum stand, die Schürze lachend vor sich aufgespannt, in der bereits einige Äpfel lagen.
»Mein Weib«, antwortete ich heiser. »Als wir noch jung und glücklich waren. Später neidete sie mir meine Jugend und wollte nicht glauben, dass ich sie weiterhin liebte, auch als sie alt und runzlig war. Sie sagte, ich würde sie vergessen … und sie behielt recht damit.«
Serafine sagte nichts dazu und besah sich nur weiter die Figuren. »Die hier erinnert mich an Leandra«, meinte sie und hob eine Figur heraus, die eine Sera zeigte, die über einem feinen Kleid die lederne Schürze eines Schmiedes trug und einen schweren Schmiedehammer in der Hand hielt … und ja, die Linie von Kinn und Hals, die Nase, die ganze Haltung …
»Das ist Königin Lenere«, sagte ich leise.
»Sie beschlug selbst ihre Pferde?«, fragte Serafine erstaunt.
»Manchmal. Sie ist eine, die die Dinge gern selbst in die Hand nimmt.«
»Sie sieht Leandra wirklich ähnlich«, stellte Serafine fest. »Und das hier ist wieder deine Schwester?« fragte sie und nahm eine andere Figur heraus. Ein junges Mädchen, das lachend zusah, wie ein Käfer ihr über den Finger lief. Ich erinnerte mich, dass ich dieses Stück nahm, weil ein Knoten im Holz die Hand mit dem Käfer versprach …
»Nein.« Ich nahm ihr die Figur vorsichtig ab, um sie sorgsam wieder an ihren Platz zu stellen. »Das ist Königin Eleonora. Als Kind. Wie ich sie erinnere, bevor es ihr den Rücken brach.«
»Aber …«, begann Serafine und sah von meiner Schwester hin zu Eleonora und wieder zurück zu meiner Königin. »Das kann nicht sein. Sie sind genau gleich!«
»So genau ist auch meine Arbeit nicht«, versuchte ich abzuwiegeln. »Es ist ein Zufall. Oder eine Schattierung im Holz, die dich das denken lässt. Es ist nichts weiter …«
»Havald«, sagte sie leise. »Die Ähnlichkeit ist größer noch als zwischen Königin Lenere und Leandra. Ich bin nicht blind.« Sie schaute mich suchend an. »Erzähle es mir«, bat sie. »Bitte. Obwohl … es ist
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