Das blutige Land: Die Götterkriege 3 (German Edition)
unterhalten hatte. »Der Leutnant will damit nur sagen, dass sie es ernst nehmen mit der Pünktlichkeit.«
»So ist es. Sie nehmen es mit ihrer Ehre ernst … und Pünktlichkeit ist eine Ehrenpflicht«, erklärte Stofisk. Er schaute besorgt drein. »Wollen wir hoffen, dass ihm nichts geschehen ist. Es wäre ein denkbar schlechter Anfang.«
Wir sahen uns gegenseitig an. Die Spione des Nekromantenkaisers zu unterschätzen, wäre ein grober Fehler, und jetzt bereute ich es, dass ich nicht eine Eskorte für den Mann befohlen hatte.
»Serafine, geh du hin zur Toraufsicht und frage sie, ob sie etwas weiß«, entschied ich. »Ich werde derweil schauen, ob die Wache oben am äußeren Tor etwas mitbekommen hat.«
Serafine nickte und warf einen Blick hin zum Wasserwerk. »Wir sollten uns sputen, denn viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Wenn wir diesen Durchgang verpassen, müssen wir fast zwei Kerzenlängen warten.«
»Ich komme mit dir, Havald«, sagte Ragnar kurz. »Niedrige und dunkle Räume drücken mir zu sehr aufs Gemüt.«
»Ich weiß, was Ihr damit meint«, meinte Varosch voller Inbrunst. »Ihr habt so recht damit.«
»Nein, Lanzengeneral«, sagte der Leutnant der Wache an dem Tor, das die kleine Straße, die zu Desinas Haus führte, von der Hauptstraße trennte. »Soviel ich weiß, ist heute noch nichts vorgefallen. Es ist im Verhältnis ruhig. Wenn man das hier ruhig nennen kann.« Er wies mit seiner linken Hand auf die lange Reihe der Handelswagen, die sich auf der Kornstraße stauten. Meistens waren Ochsen die Zugtiere, manchmal auch Esel und Pferde … und es gab genügend, die unruhig waren, sodass ein beständiges Muhen, Schnauben und entnervtes Wiehern zu hören war, überlagert von den Flüchen der Fuhrleute und den allgemeinen Äußerungen, Beschwerden und harten Worten, die unvermeidlich waren, wenn man Soldaten zu lange untätig warten ließ. »Es hat auch niemanden gegeben, der Einlass begehrte, ohne sich entsprechend ausweisen zu können.«
»Habt Ihr davon gehört, dass anderenorts etwas geschehen wäre?«, hakte ich nach, doch er schüttelte nur wieder den Kopf.
»Unten im Hafen haben die Seeschlangen eine Gruppe Schmuggler aufgegriffen, die sich zu laut darüber beschwert haben, dass sie ihr Bestechungsgeld gezahlt hätten, das hat für einigen Wirbel gesorgt, aber das hat wohl damit nichts zu tun.«
Wohl kaum. »Gibt es irgendetwas, das Euch ungewöhnlich erschien?«
Der Mann seufzte und dachte sich womöglich, dass seine Antwort nicht besser werden konnte, wenn man ihm die gleiche Frage dreimal unterschiedlich stellte. »Nur dieser seltsame Vogel«, meinte er dann und wies zu einer Stelle seitlich hin. Ich trat vor, um zu sehen, was er meinte, und dort stand ein stämmiger Mann in einer Art dunkelroter Seidenrobe und einem komischen seidenen Hut, die Hände zum Teil in den Ärmeln verschränkt, der den ganzen Betrieb aus dunklen Augen und mit einem feinen Lächeln zu beobachten schien.
Zu seinen Füßen stand eine achteckige Kiste oder Tonne aus Kirschholz, sorgfältig lackiert und mit goldener Kalligrafie versehen; zwei kunstvoll geschnürte Griffe am oberen Ende verrieten, wie man sie zu tragen hatte. Er hatte sich die Stirn rasiert, sodass der Haaransatz weit nach hinten verlegt war, und das dichte schwarze Haar zu einem langen Zopf gebunden, der ihm fast bis über die Hüften ging. Zudem war er blass gepudert und hatte sich seine Lippen etwa daumenbreit in der Mitte leuchtend rot geschminkt, sodass er aus der Entfernung seltsam zu schmollen schien. Er stand still wie eine Statue, und in der einen Hand hielt er zusammengefasst einen großen Fächer aus Ebenholz und reich mit Elfenbeinarbeiten versehen, bestimmt länger als ein Fuß. Das einzige erkennbare Zeichen maßvoller Ungeduld war, dass er ab und zu mit einem langen, schlanken Finger leicht auf das Holz des Fächers tippte.
Von Orikes hatten wir ja bereits erfahren, dass uns die Ehre zuteil geworden war, einen der größten Generäle aus dem östlichen Reich als Beobachter geschickt zu bekommen. Einen geschminkten Mann in einem Seidenkleid hatte ich da gewiss nicht erwartet.
Auch Ragnar musterte den Mann ungläubig. »Hat er da Blumen auf sein Kleid gestickt?«, fragte er verwundert. »Die werden dir doch nicht einen Hâlverman geschickt haben?«
»Er meint einen Astartepriester«, erklärte Stofisk. »Wir …«
»Ich weiß, dass Ragnar einen Flötenspieler meint«, unterbrach ich ihn unwirsch. »Aber nein, ich glaube nicht,
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