Das böse Auge
schüttelte den Kopf und folgte der Angebeteten. Sie erwartete ihn im Hof auf dem Rücken eines Drachen. Das riesige Tier nahm den ganzen Platz für sich in Anspruch. Die Kreaturen, die den Burghof sonst bevölkerten, drängten sich scheu an die Mauern und gaben kaum noch Laute von sich.
»Komm, mein Prinz!« rief Cyrle. »Steig hinter mir auf!«
Er tat es, ohne noch Fragen zu stellen.
Cyrle wartete, bis er hinter ihr saß und die Hände um ihre Hüften schlang. Für einen Herzschlag nur zeigte sich das Lächeln der Quida auf ihrem Gesicht. Sie rief dem Drachen etwas zu. Ein Ruck ging durch den mächtigen Körper. Die ausgebreiteten Flügel stießen fast gegen die Mauern. Dann begannen sie zu schlagen. Mit einem einzigen Stoß seiner gewaltigen Beine erhob der Drache sich in die Lüfte, stieg auf und gewann rasch an Höhe. Luxon sah, wie der Innenhof mit seinen Kreaturen unter ihm zurückblieb, dann die uralten Mauern, schließlich die spitzen, hohen Türme.
Es war für jede Umkehr zu spät.
Der Drache überflog zweimal die Burg. In der Tiefe glommen die Augen der Valunen, die nun wie aufgescheucht durcheinanderliefen. Luxon stieß laut die Luft aus, als er sah, daß Cyrle den Drachen auf sie herabstoßen ließ.
»Warum tust du das?« schrie er ins Rauschen des Windes und der Schwingen.
»Schließe die Augen und halte dich fest!« Cyrle klammerte sich nur noch mit einer Hand an das Horn des Drachenschädels. Mit der anderen bedeckte sie ihr Gesicht. »Sie müssen deinen Geruch aufnehmen!«
Luxon tat, wie ihm geheißen. So schnell verlor der Drache an Höhe, daß ihm ganz elend wurde. Er hörte plötzlich die Schreckensschreie der Zwerge aus allen Richtungen. Sie waren so nahe, daß er glaubte, er müßte jeden Augenblick ihre Hände spüren, wie sie nach ihm griffen. Er mußte an sich halten, um die Augen nicht aufzureißen. Doch als er glaubte, nicht länger gegen das flaue Gefühl in seinem Magen ankämpfen zu können und sich übergeben zu müssen, begann der Drache wieder zu steigen. In ruhigem Flug trug er ihn und Cyrle über die Gipfel der Felsenberge. Die Schreie der Valunen verklangen in der Ferne.
Luxon öffnete wieder die Augen. Er drehte den Kopf. Nur ganz schwach waren die leuchtenden Punkte in der Feme noch zu sehen. Doch sie bewegten sich.
Die Zwerge hatten die Verfolgung aufgenommen. Wahrscheinlich wußten sie überhaupt nicht mehr, warum sie hierhergekommen waren. Möglicherweise kannten sie auch den Weg zurück zu ihren Hügeln nicht mehr. Luxon stellte sich vor, wie sie seit Tagen nichts anderes taten, als sich gegenseitig aufzusagen, daß sie ihn in ihre Gewalt bringen mußten. Das war alles, was für sie zählte, und um das zu erreichen, würden sie ihm nötigenfalls bis in die Schattenzone hinein folgen – bis ans Ende der Welt.
Cyrle strahlte eine unwirkliche Ruhe aus, die Luxons Gedanken, Ängste und Zweifel erstickte. Hoch über den Gipfeln flogen sie, durch Düsternis und schwarze Nebel, immer näher an die Schattenzone heran. Manchmal sah Luxon Irrlichter über die Berge tänzeln oder blutrote Feuerschweife über sich. Und noch weit voraus glomm ein Licht.
Tief in der Schattenzone…
Das Böse Auge der Quida…
Weiter ging der Flug, immer weiter. Er schien kein Ende mehr nehmen zu wollen. Der Wind wurde kälter, die Düsternis noch vollkommener. Die Berge waren kaum mehr zu sehen. Nur ab und an jedoch erblickte Luxon Dinge, für die er keinen Vergleich mehr fand. Eiseskälte war nun auch in ihm selbst. Sein Herz schlug schneller. Er klammerte sich an Cyrle, doch nun schien auch sie ihm die Furcht nicht mehr ganz nehmen zu können.
Weit voraus am Horizont war das Wirken von Mächten zu erkennen, denen ein Sterblicher nichts entgegenzusetzen hatte. Luxon glaubte mächtige Luftblasen erkennen zu können, und riesige, fliegende Gesteinsbrocken.
Er redete sich ein, daß auch dies Irrlichter und unglaublich dichte Nebelfelder seien, daß nur seine überreizte Vorstellungskraft ihm Streiche spielte. Doch die Zweifel blieben. Und vergebens wartete er nun auf ein befreiendes Wort von Cyrle. Sie schien sich seiner überhaupt nicht mehr bewußt zu sein, nur noch Augen zu haben für das, was vor ihnen lag.
Endlich sprach sie wieder zum Drachen. Das mächtige Tier stieß den Schädel nach unten und verlor rasch an Höhe. Um Luxon herum war Niemandsland, nur noch Dunkelheit und verwaschene Konturen, Schatten zwischen Schatten. Allein das schwach glimmende Licht wies ihm die Richtung, in
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